Das Siegel der Macht
dass die Diakone ihre Arme packten und sie auf die Füße hochrissen. Als die Frau wieder vor dem Altar stand, hatte Bischof Lambert seinen Stab weggelegt. Er hielt der Besessenen einen Becher mit Wasser an die Lippen. Gehorsam begann sie zu trinken.
Die Lobgesänge der Priester schwollen an, als der Bischof seine Arme hob. »Pax omnium rerum est tranquillitas ordinis …« Verwirrt starrte die Bäuerin Lambert an, sie konnte den Sinn seiner Worte nicht verstehen. Unbeirrt fuhr der Prälat mit monotoner Stimme fort: »Die superbia, quomodo in Lucifero regnasses …«
Neben Alexius bedeckten Frauen ihre Gesichter mit Tüchern, die Männer bekreuzigten sich. Man konnte ihren Angstschweiß riechen. Gespannt schaute der Missus zum Altar. Plötzlich verstummten die Gesänge. Bischof Lambert trat so nahe vor die junge Frau, dass sein Umhang fast ihr Hemd berührte. Sanft schob er das zu Boden gerichtete mädchenhafte Gesicht mit dem Zeigefinger nach oben. Ihre Blicke trafen sich, er zwang seinen Glauben in ihre Seele. Ohne die Augen von ihren geweiteten Pupillen zu wenden, trat der Prälat einige Schritte zurück, ergriff den Bischofsstab und versetzte ihr drei Schläge. In der Krypta war es totenstill. Alle hielten den Atem an. Als Lambert in die Hände klatschte, war der Bann gebrochen. Das starre Gesicht der Frau entspannte sich.
Erleichtert wollten Priester und Gläubige die geweihte Stätte verlassen, als die junge Frau wild zu lachen begann. Sie schrie und lachte, wollte nicht aufhören. Schaum trat auf ihre Lippen.
Kopfschüttelnd winkte Bischof Lambert den Vater der Besessenen zu sich. »Kommt übermorgen wieder. Wir wollen in der nächsten Nacht alle Kerzen brennen lassen. Übermorgen wird die Kraft des Gebetes …« Der Prälat kam nicht weiter. Kreischend stürzte die junge Frau zum Ausgang, der Vater hinter ihr her.
Wie versteinert blieb die Glaubensgemeinschaft zurück. Einzig Lambert bewegte sich. Seine Holzschuhe hallten überlaut, als er zwischen den Säulen durchschritt. Ruhig ließ er seinen Blick durch die Krypta schweifen, bis er den vornehm gekleideten Fremden erblickte.
»Eigentlich müsste ich noch einen Dieb entlarven«, sagte der Bischof wenige Minuten später zu Alexius. »Aber ein Bote Kaiser Ottos ist mir wichtiger.«
Sie saßen im Palast bei Gewürzkuchen und gesüßtem Wein. Das Feuer im riesigen Kamin strahlte wohltuende Wärme aus. Alexius hatte den Reisemantel abgelegt und lehnte sich an ein Rückenkissen. »Ihr kennt ein Mittel, um Diebe zu fangen? Das interessiert mich. Als Missus werde ich früher oder später auch Besitzstreitigkeiten regeln.«
»Ja, ich habe es in einem liturgischen Handbuch gefunden. Die beiden Verdächtigen müssen trockenes Brot und Käse essen, die ich vorher von den bösen Gewalten befreie. Da ich gleichzeitig den Segen erteile, kann der wahre Dieb Brot und Käse nicht schlucken, nur der Unschuldige.«
Alexius nickte beeindruckt. Dann sagte er entschuldigend: »Ich habe keine Botschaft des Kaisers für Euch.«
»Vielleicht ein persönliches Anliegen?«
»Ja, es ist wohl besser, wenn ich sofort zur Sache komme. Ich wohne im Gästehaus der Reichenau und möchte Euch etwas fragen. Habt Ihr den verstorbenen Bruder Maxim gekannt?«
»Allerdings.«
»Gut?«
»Weshalb interessiert Ihr Euch für einen vor Monaten erschlagenen Klosterbruder?«
»Hatte … hatte Maxims Tod etwas mit den Grenzstreitigkeiten zwischen Konstanz und der Reichenau zu tun?«
»Wie kommt Ihr darauf?« Als Alexius keine Antwort gab, stand Lambert auf und durchmaß den Raum mit langsamen Schritten. Schließlich blieb er vor dem Gast stehen. »Gut, ich will Euch reinen Wein einschenken. Offenbar seid Ihr kein Spion des Klosters. Es geht um mehr als nur um Grenzkompetenzen. Das Kloster möchte mir die Gewalt über weite Gebiete entziehen. Wenn es so weit kommen sollte, würde ich nur noch in einem kleineren Teil meines Bistums selber Richter sein und Abgaben einziehen können, während die Reichenau ihre Macht und ihren Reichtum vergrößern würde. Ob Abt Witigowo seine Pläne bei Papst Gregor durchsetzen wird, ist allerdings noch unklar.« Bischof Lambert starrte ins offene Feuer, sagte leise: »Die Äbte halten zusammen, sie versuchen immer größeren Einfluss zu gewinnen und mischen sich in Dinge, die sie nichts angehen. Deshalb hat Maxim für mich aufgepasst.«
»Bruder Maxim war Euer … Spion?«
»Nur ein entfernter Vetter, in der Kindheit ein Freund.«
»Jetzt begreife
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