Das Siegel der Macht
Jahr als Bauleute zu verpflichten. Anschließend sollten sie wieder zu ihrem alten Herrn stoßen. Als Ersatz gab die Sächsin ihm Gerold und Ricolf mit. Irgendwie kam die Angelegenheit Alexius seltsam vor. Am Tag der Abreise besprach Elana sich eingehend mit ihren treuen Dienern, schien ihnen wichtige Anweisungen einzuschärfen. Als der kleine Trupp endlich wegritt, stand die Burgherrin am Tor. Alexius wandte sich um und sah, dass ihr Blick ihm besorgt folgte.
Und nun ließen Gerold und Ricolf ihn in Konstanz keinen Augenblick allein. Je dichter sie ins Marktgedränge kamen, desto näher rückten sie auf, Alexius stieg vom Pferd und führte es am Zügel. Interessiert schaute er sich um. Zahlreiche Verkaufstische standen innerhalb des Verteidigungsrings eng beieinander. Der Missus wartete geduldig, bis ein Karren mit gackernden Hennen zur Seite geschoben war. Erstaunt bemerkte er, dass einzelne Händler Pelze und Schmuck anboten. Offenbar ein wichtiger Markt. Das sah man auch den vielen wartenden Packpferden an, die neben den Wagen angebunden waren. Konstanz hatte sich zu einer Drehscheibe für Kaufleute entwickelt. Von der Stadt am See wurden Waren in den Norden und in den Süden Schwabens transportiert.
Alexius war froh, als die Menschenmenge sich lichtete und er an der höchsten Stelle des Konstanzer Stadthügels endlich die Bischofskirche vor sich sah. Eine innere Wehrmauer umgab das schwere, durch wenige kleine Fenster aufgelockerte Münster und den angrenzenden Bischofspalast. Dieser war wie eine Festung gebaut, nur das verzierte Portal nahm ihm etwas von seiner Schwerfälligkeit. Der Missus überließ Gerold sein Pferd und trat ein.
In der Eingangshalle war es nicht einsamer als auf dem Marktplatz. Zahlreiche Leute warteten auf eine Audienz. Lautstark verhandelten ärmlich gekleidete Bauern mit dem bischöflichen Schreiber. Dieser pfiff zwei Träger herbei. Die Bauersleute taten keinen Wank. Standfest hüteten sie eine Ladung Wachs. Das Quantum übertraf bei weitem die verlangten Abgaben. Die Sippe erhoffte dafür ein Privileg, wollte den frühzeitig begonnenen Winter über im herrschaftlichen Wald Holz sammeln. Schließlich einigte man sich. Ein Bauer blieb zum Verhandeln bei der Wachsladung, die Übrigen verließen den Palast. Der bischöfliche Beauftragte wandte sich der anderen Gruppe zu und komplimentierte sie hinaus.
»Dorfgeistliche«, sagte er zu Alexius, dessen vornehme Kleidung ihn beeindruckte. »Sie möchten in Sankt Johann biblische Geschichten vorspielen. Damit das Volk die Liturgie besser begreift.«
»Eine gute Idee. Ich habe die Bilder auf der Reichenau gesehen. Die Malereien und die Spiele sind den Gläubigen bestimmt eine große Hilfe.«
»Möchtet Ihr Bischof Lambert sprechen?«
Alexius nickte. »Ich bin Bote des Kaisers und in Eile.«
»Kommt mit mir. Er ist beschäftigt, und das kann lange dauern. Vielleicht findet er einen freien Moment, um Euch kurz zu empfangen. Ich werde vorausgehen. Eure Begleiter können hier warten.«
Als Alexius sich nach einigen Schritten umdrehte, waren ihm Ricolf und Gerold wie immer auf den Fersen. Keine Anweisung konnte sie abschütteln. Resigniert folgte er dem bischöflichen Schreiber, der ihn nicht wie erwartet ins Innere des Palastes dirigierte. Er passierte mit seinem Begleiter die Seitenpforte der Kirche und gelangte durch einen schmalen Gang zur Treppe. Abgewetzte Tritte führten ins Untergeschoss. Die Krypta der Bischofskirche von Konstanz war ein düsterer Bau. Über sechs Säulen wölbten sich gedrungene Steinbögen. Von weitem hörte Alexius den monotonen liturgischen Gesang. Priester und Weihrauchgefäße schwenkende Diakone umstanden den Bischof.
Eine junge, in weißes Wolltuch gekleidete Frau stand vor dem Altar. Zwei Männer hielten sie fest. Kerzenschein beleuchtete ihr wirres Kraushaar und die Kratzwunden auf Gesicht und Hals.
»Sie ist besessen«, hörte Alexius hinter sich flüstern. »Nur eine Unwissende aus dem Volk, eine Bäuerin. Der Teufel wird bald ausgetrieben sein.«
Als der Gesang verstummte, näherte sich Bischof Lambert der jungen Frau. Beim Anblick seines Stabes begann sie zu schreien und warf sich auf die steinernen Bodenplatten. Die plötzliche Freiheit gab ihr Kraft. Unerwartet wirbelte sie herum und stürzte an den Gläubigen vorbei der Treppe zu. Das Hemd der Bäuerin streifte einen Leuchter, der auf ihr Bein kippte. Heißes Wachs ließ sie schreien wie ein verletztes Tier, sie wand sich am Boden. Alexius sah,
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