Das Siegel der Macht
von Köln und bin im Namen des Kaisers unterwegs nach Reims.«
Die Tafelrunde störte ihn nicht beim Essen. Geduldig wartete der Gutsherr, bis Alexius sein Messer zur Seite legte. Dann wankte er mit dem Glas zu seinem jungen Gast. »Ihr seid Zeuge unserer Schwurfreundschaft. Mein Lehensnachbar und ich haben uns versöhnt, wir sind seit Tagen am Feiern.«
Alexius verstand. Vermutlich hatten die beiden eine Fehde hinter sich. Der angetrunkene Helgaud winkte einen Diener herbei und erteilte Anweisungen. Aufgekratzt wandte er sich wieder seinen Gästen zu, man hob die Becher.
»Du hast mich rufen lassen, Vater?« Ein Mädchen mit langem brünettem Haar deutete eine Verbeugung an.
Helgaud beachtete sie nicht, sprach auf seinen Bekannten ein. »Geva ist vierzehn und kerngesund. Sie wird das Gut zwischen den zwei Bächen bekommen. Außerdem den Wald dahinter. Wäre das die richtige Mitgift für Euren Ältesten?« Als keine Antwort kam, fuhr er fort: »Der Bote Kaiser Ottos soll unser Zeuge sein. Meine Frau ist eine Nichte des verstorbenen Bischofs. Ihr Großonkel hat in zweiter Ehe die Witwe des Grafen von Mâcon geheiratet.«
»Mein Erstgeborener besitzt ein eigenes Lehen. Er ist im letzten Jahr nach Rom gepilgert …« Der Schwurfreund strahlte und hob den Becher, schlug dem andern auf den Arm. Die Antwort schrie er fast: »Ich sage Ja, bin einverstanden!«
Helgauds Frau flüsterte ihrer Tochter ins Ohr: »Eine vorteilhafte Heirat. Du hast großes Glück.«
Geva schwieg, blickte zu Boden.
»Sag unserem Gast, wie sehr du dich freust!«
Keine Reaktion.
»Geva!« Helgauds laute Stimme schreckte seinen Schwurfreund vom Weinbecher auf. Dieser fixierte seine künftige Schwiegertochter und winkte sie herbei.
Alexius beugte sich über die Schüssel. Gespannt wartete er auf Gevas Antwort. Er wusste, dass in Westfranken wie in Sachsen keine Frau ohne ihr Einverständnis verheiratet werden konnte.
Das Mädchen zögerte, blieb stehen, sagte leise und ohne aufzusehen: »Ich werde Eurem Sohn eine gute Frau sein.« Sie ging leicht in die Knie, drehte sich um und lief hinaus.
»Morgen werde ich meinen Jungen rufen. Wir wollen gleich alles vor Zeugen festlegen.«
»Auf unsere Verwandtschaft! Wir werden gemeinsame Enkel taufen.« Helgaud legte dem Kumpanen den Arm um die Schulter, nochmals wurden die Becher gehoben.
Hastig grüßte Alexius und ging in die Gastkammer. Sie war bitterkalt und roch nach Feuchtigkeit. Wenigstens lagen trockene Decken auf der Matratze. Vor dem Einschlafen zwang sich der Missus, nicht über die erlebte Episode nachzudenken. Was gingen ihn die fremden Leute an? Aber Gevas Traurigkeit führte seine Gedanken zu Lucilla und zu Elana. Die eine der Liebe ergeben, die andere entschlossen, nie zu heiraten. Die Frauen in meinem Leben sind Träume, sinnierte Alexius. Geva ist die Wirklichkeit. Fast alle Heiraten werden von den Vätern bestimmt.
Der Missus fühlte sich innerlich leer. Am nächsten Morgen würde seine Reise weitergehen. Monoton, endlos wie immer. So war sein Botenleben. Tag um Tag auf dem Pferderücken. Kurze Rasten, Abende in Gesellschaft von Fremden. Man empfing den Missus des Kaisers in Ehren, fragte den Gast manchmal sogar um Rat. Aber das war kein Ersatz für echte Freundschaften, für die Liebe. Obwohl ihn nur noch ein Tag von Reims trennte, empfand Alexius eine tiefe Mutlosigkeit. Ich jage einem Albtraum nach, dachte er. Nie werde ich das Carolus gegebene Versprechen einlösen können. Ob Gerbert weiterweiß?
Enttäuscht war Alexius nach dem Aufstand gegen Abt Witigowo von der Reichenau abgereist. Die Umwälzung hatte nichts Neues ans Licht gebracht. Niemand wusste von jener Unterredung zwischen dem Klostervorsteher und Abbo von Fleury. Witigowo galt als krank und weigerte sich, mit den anderen Brüdern zu sprechen. Ohne eine Antwort auf all seine Fragen reiste Alexius nach Einsiedeln weiter.
Ausgerechnet am Todestag des dortigen Abts erreichte er das schwäbische Kloster. Alle Glocken läuteten Sturm, als er durch den Toreingang ritt. In der Aufregung beachtete niemand den Kaiserboten. Die Mönche ließen ihre Arbeit, ihre Psalmbücher liegen und liefen zum Sterbenden, so schnell sie konnten. Jedermann stimmte das Credo an. Die Frauen der Umgebung weinten und schrien, Arme pilgerten zum Kloster. In Einsiedeln konnte man sich nicht erinnern, dass jemals an einem einzigen Tag so großzügig Spenden an die Bedürftigen verteilt worden waren. Sogar Kranke und Besessene holte man aus
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