Das Siegel der Tage
Mathehausaufgaben half, während Celia in einer geschmacklosen Hose und mit einem Idiotenhelm auf dem Kopf vor einer Gruppe Touristen über Bergpfade strampelte.
»Wir lachen viel miteinander«, sagte sie und rührte im Topf.
In diesem Abenteuer, ein Paar zu werden, hängt viel vom Zufall ab, aber viel auch von dem, was man will. Ich werde in Interviews oft nach dem »Geheimnis« meiner bemerkenswerten Ehe mit Willie gefragt. Ich weiß darauf keine Antwort, kenne das Rezept nicht, falls es eins gibt, aber ich muß immer an etwas denken, das ich von einem Komponisten gelernt habe, der uns einmal zusammen mit seiner Frau besuchte. Die beiden waren um die Sechzig, sahen aber jung aus, entschlossen und voller Schwung. Wie uns der Mann erzählte, hatten sie einander im Laufe ihrer langen Liebe siebenmal geheiratet, oder besser gesagt hatten sie ihr Eheversprechen siebenmal erneuert. Kennengelernt hatten sie sich während des Studiums, es war Liebe auf den ersten Blick, und sie sind jetzt seit über vier Jahrzehnten ein Paar. Sie haben etliche Etappen durchlaufen, haben sich in jeder verändert und oft vor der Frage gestanden, ob sie sich trennen, sich dann aber immer dafür entschieden, ihre Beziehung einer gründlichen Prüfung zu unterziehen. Nach jeder Krise stand für sie fest, daß sie noch eine Weile verheiratet bleiben wollten, weil sie sich, auch wenn sie nicht mehr waren wie zuvor, immer noch liebten. »Alles in allem haben wir inzwischen sieben Ehen erlebt, und bestimmt stehen noch einige aus. Ein Paar zu sein, wenn man Kinder großzieht, kein Geld und keine freie Minute hat, ist etwas anderes, als wenn man ein gewisses Alter erreicht hat, beruflichgefestigt ist und auf das erste Enkelkind wartet«, sagte er. In den siebziger Jahren, mitten im Hippiewahn, hätten sie zum Beispiel mit zwanzig Leuten in einer Kommune gelebt. Er habe als einziger gearbeitet, alle anderen hätten den ganzen Tag in einer Marihuanawolke rumgehangen, Gitarre gespielt und Verse in Sanskrit rezitiert. Eines Tages sei er es leid gewesen, alle durchzufüttern, und habe sie hochkant aus dem Haus geworfen. Das war ein Schlüsselmoment, in dem die Spielregeln zwischen ihm und seiner Frau neu festgelegt werden mußten. Dann kamen die materialistischen achtziger Jahre, als ihre Liebe beinahe zugrunde ging, weil beide dem Erfolg nachjagten. Wieder entschieden sie sich für grundsätzliche Änderungen und einen neuen Anfang. Und so ein ums andere Mal. Mir scheint das ein sehr überzeugendes Rezept, das Willie und ich mehr als einmal haben anwenden müssen.
Zwillinge und Goldmünzen
Die Zwillinge von Ernesto und Giulia kamen an einem sonnigen Morgen im Juni 2005 zur Welt. Ich erreichte das Krankenhaus, als Ernesto die beiden Mädchen eben in Empfang genommen hatte und weinend mit zwei rosa Paketen im Arm dasaß. Auch mir kamen vor Freude die Tränen, denn mit diesen beiden winzigen Geschöpfen war Ernestos Zeit als Witwer endgültig vorüber, und eine neue Etappe in seinem Leben begann. Jetzt war er Vater. Als er die neugeborenen Mädchen sah, meinte Willie, eine sehe aus wie Mussolini, die andere wie Frida Kahlo, aber kaum waren ihre Gesichtszüge nach zwei Wochen gerade gerückt, erkannte man, daß es zwei Schönheiten waren: Cristina, blond und fröhlich wie ihre Mutter, Elisa dunkelhaarig und ernst wie ihr Vater. Die beiden sind in Aussehen und Wesen so verschieden, daß man glauben könnte, die eine sei in Kansas, die andere auf Teneriffa adoptiert worden. Giulia ging völlig in ihren Töchtern auf, im ersten Jahr konnte man über nichts anderes mit ihr reden. Sie hat ihnen beigebracht, zur gleichen Zeit zu schlafen und gemeinsam zu essen, was ihr von Nickerchen zu Nickerchen etwas Freiraum verschafft, um das Chaos einzudämmen. Sie hört lateinamerikanische Musik mit den beiden, spricht viel Spanisch mit ihnen und fürchtet weder Keime noch Unfälle. Die Schnuller fliegen auf dem Boden herum und werden von dort ohne Fisimatenten in den Mund gesteckt; die Zwillinge sollten, noch ehe sie laufen konnten, die Fähigkeit entwickeln, die scharfkantige Terrakottatreppe auf dem Bauch hinauf und hinunter zu robben. Cristina ist wie ein Wiesel, sie kann nicht stillsitzen und lehnt sich mit dem Gleichmut eines Selbstmörders über jedes Balkongeländer, während Elisa in dunkle Gedanken versinkt, von denen sie oft untröstlich weinenmuß. Ich weiß nicht, wo Giulia die Energie hernimmt, die zwei wie Püppchen zu kleiden, mit kleinen Spitzenschuhen
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