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Das Siegel der Tage

Das Siegel der Tage

Titel: Das Siegel der Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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schon viel mehr erreicht, als er sich je habe träumen lassen; schon daß die Presse gekommen sei und einige Leute sein Buch lesen wollten, empfinde er als Geschenk. Während Willie alle entwaffnete, wand sein Verleger sich auf dem Stuhl, weil er noch nie einem so grundanständigen Autor begegnet war. Endlich war es einmal an mir, die Koffer zu schleppen, und so konnte ich Willie ein ganz klein wenig für die Zumutungen entschädigen, denen er bei meinen Reisen um die Welt über die Jahre ausgesetzt gewesen war.
    »Genieß diesen Augenblick, Willie, er kommt nicht wieder. Die Freude, das erste Exemplar deines ersten Buchs in den Händen zu halten, ist unvergleichlich. Auch wenn du später noch mehr veröffentlichst, so wird es nie mehr sein«, sagte ich ihm und dachte daran, wie ich mich gefühlt hatte, als ich die erste Ausgabe von Das Geisterhaus in Händen hielt, die, in Seidenpapier eingeschlagen und signiert von den Schauspielern des Films und denen des Theaterstücks, das in London auf die Bühne kam, ich heute wie einen Schatz hüte.
    Mit seinem ungeschliffenen, von mexikanischem Slang und einzelnen englischen Ausdrücken durchsetzten Spanisch machte Willie viele Punkte; sein Borsalino, mit dem er wie ein Detektiv aus den vierziger Jahre aussieht, tat ein übriges. Viele Zeitungen und Zeitschriften berichteten über ihn, etliche Rundfunksender brachten Interviews, und wir besitzen ein Foto von einer Buchhandlung in Spanien und ein zweites von einer in Chile, wo Der Tote im Smoking im Schaufenster unter den meistverkauften Büchern steht. In einem Radiointerview erwähnte er den erbärmlichen Zwerg aus dem gescheiterten Vorgängerroman, und hinterher kam im Hotel ein Mann auf ihn zu und sagte, er habe die Sendung gehört.
    »Woher wissen Sie, daß ich das war?« wunderte sich Willie.
    »Die Interviewerin erwähnte Ihren Hut. Ich wollte Ihnen sagen, daß ich einen kleinwüchsigen Freund habe, der genauso sexbesessen ist wie der Zwerg in Ihrem Buch. Hören Sie nicht auf Ihre Frau, bringen Sie das Buch nur heraus. Es wird weggehen wie warme Semmeln, abartige Zwerge liegen im Trend.«
    Einen Monat später erzählte ihm jemand in Mexiko, zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts habe es in Juárez ein Bordell mit zweihundert kleinwüchsigen Prostituierten gegeben. Zweihundert! Er schenkte Willie sogar ein Buch über dieses an Fellini erinnernde Freudenhaus. Ich fürchte, das könnte in meinem Mann den Wunsch wecken, seinen widerlichen Gnom wieder aus der Truhe zu holen.
    Ich habe Willie nie glücklicher gesehen. Bestimmt werde ich keinen sabbernden Tattergreis pflegen müssen, denn im Flugzeug zückte er sein gelbes Ringbuch und begann mit seinem nächsten Krimi. Die Astrologin in Colorado hat ihm prophezeit, die letzten siebenundzwanzig Jahre seines Lebens werde er viel Neues schaffen, folglich muß ich mir bis zu seinem sechsundneunzigsten Geburtstag weiter keine Sorgen machen.
    »Glaubst du an solche Sachen?« wollte ich von meiner Agentin Carmen Balcells wissen, nachdem ich es ihr erzählt hatte.
    »Wenn man an Gott glauben kann, kann man auch an Astrologie glauben«, sagte sie.

Ein bürgerliches Paar
    Im Februar 2004 beging der Bürgermeister von San Francisco mit dem Versuch, homosexuelle Paare heterosexuellen rechtlich gleichzustellen, einen politischen Fehler, weil das die christlich orientierte Rechte in Verteidigung der »Werte der Familie« zusammenschweißte. Daß sie die Schwulenehe verhindern würden, schrieben sich die Republikaner im Kampf um Bushs Wiederwahl im selben Jahr ganz oben aufs politische Banner; man kann sich nur wundern, aber das Thema fiel bei der Wahl stärker ins Gewicht als der Krieg im Irak. Das Land war nicht reif für Initiativen wie die des Bürgermeisters. Er hatte das Gesetz an einem Wochenende eingebracht, als die Gerichte bereits geschlossen waren, damit kein Richter es unterbinden konnte. Sobald die Nachricht bekannt wurde, standen Hunderte Paare vor dem Standesamt Schlange, eine endlose Menge Menschen im Nieselregen. In den folgenden Stunden wurden von überallher Glückwünsche und Blumen geschickt, ein Blütenteppich bedeckte die Straße. Als erste heirateten zwei Frauen über achtzig, Feministinnen mit schlohweißem Haar, die seit mehr als fünfzig Jahren zusammenlebten; ihnen folgten zwei Männer, jeder mit einem Säugling in einem Tragetuch vor der Brust, adoptierte Zwillinge. Die Leute, die dort in der langen Schlange standen, wollten ein normales Leben führen, Kinder

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