Das Siegel der Tage
großziehen, zusammen ein Haus kaufen, erben, einander begleiten, wenn es ans Sterben ginge. Alles im offensichtlichen Widerspruch zu den Werten der Familie. Celia und Sally waren nicht Teil dieses Menschenauflaufs, weil sie annahmen, daß die Initiative des Bürgermeisters schon bald für unrechtmäßig erklärt werden würde, was in der Tat auch geschah.
Die Ehe zwischen Sally und Celias Bruder warinzwischen längst geschieden. Durch ihren Heiratstrick hatte er seine Aufenthaltserlaubnis für die USA bekommen, sie aber nicht lange gebraucht, weil er nach Venezuela zurückging, dort schließlich eine hübsche, herrische und lustige junge Frau kennenlernte, mit ihr ein entzückendes Kind hatte und endlich doch den Lebenssinn fand, dem er in den Vereinigten Staaten vergeblich nachgejagt war. Das erlaubte es Sally und Celia, ihre Verbindung als »Hausgemeinschaft« registrieren zu lassen. Vermutlich war es nicht ganz einfach, den Behörden darzulegen, weshalb Sally nacheinander zwei Leute gleichen Namens, aber verschiedenen Geschlechts »heiraten« wollte. Den Kindern, die das Hochzeitsfoto von ihr und dem Onkel kannten, mußte man dagegen nicht viel erklären: Sie hatten sofort begriffen, daß es sich um einen Gefallen gehandelt hatte, den Sally Celias Bruder tat; ich glaube, was familiäre Verwicklungen angeht, sind meine Enkel mit allen Wassern gewaschen.
Celia und Sally sind zu einem alten Ehepaar geworden, so gesetzt und bürgerlich, daß es schwerfällt, in ihnen die beiden wagemutigen Mädchen wiederzuerkennen, die einst um ihrer Liebe willen der Gesellschaft die Stirn boten. Heute gehen sie gern essen oder lümmeln im Bett und sehen ihre Lieblingssendung im Fernsehen, sie feiern oft Partys, bei denen sie in ihrem winzigen Häuschen hundert Leute verköstigen, Musik machen und tanzen. Die eine der beiden ist eine Nachteule, der anderen fallen um acht am Abend die Augen zu, ihr Tagesrhythmus paßt also schlecht zusammen.
»Wir müssen mit dem Terminkalender in der Hand Rendezvous am hellichten Tag ausmachen, sonst würden wir wie Geschwisterchen und nicht als Liebespaar zusammenleben. Zeit für die Liebe zu finden ist vor lauter Arbeit und bei drei Kindern gar nicht so einfach«, erzählte mir Celia lachend.
»So genau wollte ich es gar nicht wissen, Celia.«
Gerade haben sie ihr Haus umgebaut, die Garage in einen Fernsehraum und ein Zimmer für Alejandro verwandelt, der mittlerweile in einem Alter ist, in dem man etwas Privatsphäre braucht. Sie besitzen einen Hund, der Poncho heißt, schwarz, friedfertig und groß wie ein Kalb ist, dem Barrabas aus meinem ersten Roman ähnelt und abwechselnd bei den Kindern im Bett schläft, jede Nacht bei einem anderen. Seine Ankunft vertrieb die beiden kratzbürstigen Katzen, die auf Nimmerwiedersehen über das Dach das Weite suchten. Wenn meine Enkel für eine Woche zu ihrem Vater umziehen, legt sich der unglückliche Poncho mit schwimmenden Augen am Fuß der Treppe quer und wartet, daß wieder Montag wird.
Celia hat die Leidenschaft ihres Lebens entdeckt: Mountainbike. Obwohl sie die Vierzig überschritten hat, gewinnt sie über lange Distanzen Wettkämpfe gegen Zwanzigjährige, und sie hat ein kleines Unternehmen für Touren gegründet: Mountain Biking Marin. Einige Begeisterte kommen von weither, um mit ihr über unwegsame Hänge die Gipfel zu erklimmen.
Auf mich machen diese beiden Frauen einen zufriedenen Eindruck. Sie arbeiten für ihren Lebensunterhalt, schuften aber nicht bis zum Umfallen, um mehr und mehr Geld anzuhäufen, und sie sind sich darin einig, daß die Kinder das wichtigste sind, jedenfalls bis sie älter sind und flügge werden. Ich weiß noch, wie Celia sich im Badezimmer einschloß und sich heimlich übergab, weil sie in einem Dasein gefangen war, das ihr nicht entsprach. Sie und Sally haben das Glück, in Kalifornien und zu Beginn des dritten Jahrtausends zu leben; an einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit müßten sie mit erbarmungslosen Vorurteilen kämpfen. Hier macht ihnen selbst die katholische Schule der Mädchen keinen Ärger, weil sie lesbisch sind – sie definieren sich nicht darüber. Die meisten ihrer Freunde sind Pärchen, die Eltern von Spielkameraden der Kinder,Familien wie andere auch. Sally spielt die Rolle der Hausfrau, während Celia sich aufführt wie die Karikatur eines lateinamerikanischen Ehemanns.
»Wie hältst du sie aus?« fragte ich Sally einmal, als sie kochend am Herd stand und gleichzeitig Nicole bei ihren
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