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Das Siegel der Tage

Das Siegel der Tage

Titel: Das Siegel der Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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dich geliebt hatte, und unsere natürlich auch. Ich begann also damit, Pläne zu schmieden, wie die beiden zum Umzug nach Kalifornien zu bewegen wären, wo sie Teil der Sippe sein konnten. Der Sippe? Es war kaum noch etwas von ihr übrig: Jason in New York, Celia bei ihrer neuen Liebe, Nico verdrossen und unzugänglich, meine drei Enkel mit ihren Clownsköfferchen unterwegs, meine Eltern in Chile, und Tabra ständig in Ecken der Welt, von denen ich noch nie gehört hatte. Selbst Sabrina führte ihr eigenes Leben, und wir sahen sie wenig; sie kam schon allein mit der Gehhilfe klar und wünschte sich zu Weihnachten ein größeres Fahrrad.
    »Uns kommt die Sippe abhanden, Willie. Wir müssen schleunigst etwas tun, oder wir enden wie so viele Amerikaner in einem Altersheim in Florida am Bridgetisch, wo es einsamer ist als auf dem Mond.«
    »Hast du eine bessere Idee?« fragte er und dachte wahrscheinlich ans Sterben.
    »Daß wir zu einer Last für die Familie werden, aber dafür müssen wir die erst vergrößern.«
    Das meinte ich natürlich nicht ernst, denn wirklich beängstigend am Alter ist nicht die Einsamkeit, sondern das Abhängigwerden. Ich will meinen Sohn und meine Enkel nicht mit meinen Gebrechen belästigen, auch wenn ich nichts dagegen hätte, meine letzten Jahre in ihrer Nähe zu verbringen. Ich listete auf, was mit achtzig Jahren wichtig für mich sein würde: Gesundheit, finanzielle Unabhängigkeit, Familie, Hundedame, Geschichten. Gesundheit und Geld würden mir ermöglichen, zu leben wie und wo ich wollte, Familie und Hund würden mir Gesellschaft leisten, und die Geschichten würden dafür sorgen, daß ich den Mund hielt und etwas zu tun hatte, also niemandem auf die Nerven ging. Willie und ich haben eine Heidenangst davor, irgendwann den Verstand zu verlieren, und daß Nico oder womöglich jemand, den wir nicht kennen, über uns entscheidet. Ich habe dein Bild vor Augen, Tochter, wie du monatelang wildfremden Leuten ausgeliefert warst, ehe wir dich nach Kalifornien holen konnten. Wie oft haben ein Arzt, eine Krankenschwester oder ein Pfleger dich schlecht behandelt, ohne daß ich es mitbekam? Wie oft hast du dir in der Stille dieses Jahres gewünscht, rasch und in Frieden zu sterben?
    Die Jahre vergehen leise, auf Zehenspitzen, machen sich flüsternd über uns lustig, und erschrecken uns plötzlich im Spiegel, schlagen uns aus dem Hinterhalt auf die Knie oder stoßen uns einen Dolch in den Rücken. Das Alter attackiert uns Tag für Tag, doch scheint mir, daß es mit jedem neuen Lebensjahrzehnt schlagartig hervortritt. Es gibt ein Foto von mir, auf dem bin ich neunundvierzig Jahre alt und stelle in Spanien mein Buch Der unendliche Plan vor; das Foto zeigt eine junge Frau, die herausfordernd die Hände in dieHüften stemmt, mit einem roten Schal um die Schultern, lackierten Fingernägeln und langem Ohrgehänge aus Tabras Werkstatt. In ebendieser Situation, mit Antonio Banderas an meiner Seite und einem Glas Champagner in der Hand, wurde ich benachrichtigt, daß man dich ins Krankenhaus gebracht hatte. Ich machte mich sofort auf den Weg, dachte aber keinen Moment, daß dein Leben und mein Jungsein hier enden würden. Ein anderes Foto von mir, ein Jahr später, zeigt eine reife Frau mit kurzem Haar, traurigem Blick, dunkler Kleidung, ohne Schmuck. Mein Körper war mir schwer geworden, ich betrachtete mich im Spiegel und erkannte mich nicht wieder. Mein jähes Altern hatte nicht nur mit der Trauer zu tun, denn wenn ich die Fotoalben der Familie durchblättere, fällt mir ins Auge, daß ich auch nach meinem dreißigsten und dann nach meinem vierzigsten Geburtstag drastisch verändert aussah. Und so wird es weitergehen, nur daß es mir nicht mehr bloß alle zehn Jahre, sondern zu jedem Schaltjahr auffallen wird, das jedenfalls behauptet meine Mutter. Sie ist mir zwanzig Jahre voraus und macht die Bahn frei, zeigt mir, wie ich in jeder Etappe meines Lebens sein werde. »Nimm Kalzium und Hormone«, rät sie mir, »damit die Knochen dich nicht im Stich lassen wie mich.« Sie schärft mir ein, ich solle auf mich achten, gut zu mir sein, die Stunden auskosten, die doch so schnell vorbei sind, nicht mit dem Schreiben aufhören, damit mein Geist rege bleibt, und meine Yogaübungen machen, damit ich mich bücken kann und weiterhin allein in meine Schuhe komme. Auch rät sie mir, nicht zuviel Energie an jugendliches Aussehen zu verschwenden, denn wie sehr ich sie auch zu kaschieren versuchte, man sähe mir die Jahre

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