Das Siegel der Tage
doch an, und nichts sei erbärmlicher als eine Alte, die als Lolita daherkommt. Kein Zaubertrick stoppt den Verfall, er läßt sich nur ein bißchen aufhalten. »Über Fünfzig macht Eitelkeit nur noch Kummer«, versichert mir diese Frau, die immer als Schönheit galt. Aber mich schreckt die Häßlichkeit desAlters, und ich werde mich gegen sie wehren, solange meine Gesundheit es erlaubt; deshalb habe ich mich liften lassen, denn noch ist die Salbe, die Zellen verjüngt, nicht gefunden. Ich bin nicht aus dem hervorragenden Grundstoff einer Sophia Loren und muß auf jede Hilfe zurückgreifen, die ich kriegen kann. Bei der Operation werden Muskelgewebe und Haut gelockert, was zu viel ist, schneidet man weg, und dann wird das Fleisch, straff wie das Trikot eines Tänzers, wieder an den Schädel genäht. Über Wochen fühlte ich mich wie unter einer Maske aus Holz, aber am Ende hat es sich gelohnt. Ein guter Chirurg kann der Zeit ein Schnippchen schlagen. Gegenüber Nico oder meinen Schwestern vom Durcheinander darf ich dieses Thema nicht anschneiden, weil die behaupten, das Alter besitze, selbst mit behaarten Warzen und Krampfadern, eine eigene Schönheit. Du warst derselben Ansicht. Alte haben dir immer besser gefallen als Kinder.
In schlechten Händen
Apropos Schönheitschirurgie: An einem Mittwochmorgen rief Tabra mich ziemlich verstört in aller Frühe an, um mir zu sagen, eine ihrer Brüste sei verschwunden.
»Machst du Witze?«
»Sie ist verpufft. Eine Seite ist flach wie ein Brett, aber die andere ist wie neu. Weh tut es nicht. Meinst du, ich sollte zum Arzt gehen?«
Ich holte sie sofort ab und brachte sie zu dem Chirurgen, der sie operiert hatte und der uns versicherte, es sei nicht seine, sondern die Schuld des Implantatherstellers: Manchmal seien die Implantate fehlerhaft, gingen kaputt, und die Flüssigkeit ergieße sich in den Körper. Wir sollten uns keine Sorgen machen, es handele sich um Salzwasserlösung, die mit der Zeit ohne Gefahr für die Gesundheit versickere. »Aber so kann sie doch nicht bleiben: mit einer Brust!« protestierte ich. Das leuchtete dem Arzt ein, und ein paar Tage später ersetzte er den geplatzten Ballon, dachte allerdings nicht daran, einen Preisnachlaß für seine Dienste zu gewähren. Drei Wochen später verpuffte die andere Brust. Tabra kam am Abend in einen Poncho gehüllt zu uns.
»Wenn dieser Kurpfuscher nicht für deinen Busen haftet, zerre ich ihn vor Gericht! Er muß dich gratis operieren!« empörte sich Willie.
»Ich möchte ihn lieber nicht noch einmal bemühen, Willie, womöglich würde er das krumm nehmen. Ich war bei einem anderen Arzt.«
»Und der versteht etwas von Brüsten?« wollte ich wissen.
»Er ist sehr anständig. Stell dir vor, er reist jedes Jahr nach Nicaragua, um dort Kinder mit Gaumenspalte zu operieren.«
Tatsächlich leistete er hervorragende Arbeit, und Tabra wird feste Mädchenbrüste haben, bis sie mit hundert Jahren abtritt. Die Frauen ihrer Familie sind sehr langlebig. Ein paar Monate später tauchte der Name des ersten Chirurgen – der mit den fehlerhaften Implantaten – in der Presse auf. Man hatte ihm die Zulassung entzogen und war drauf und dran, ihn hinter Gitter zu bringen, weil er eine Patientin nach einer Operation ohne Aufsicht eine Nacht in seiner Praxis gelassen hatte, wo sie einen Herzanfall erlitt und starb. Mein Enkel Alejandro rechnete aus, was jede Brust von seiner Tante Tabra gekostet hatte, und schlug vor, zehn Dollar fürs Anschauen und fünfzehn fürs Anfassen zu nehmen, womit sich die Investition in näherungsweise drei Jahren und hundertfünfzig Tagen amortisiert hätte; aber Tabras Schmuckgeschäfte liefen gut, und sie mußte nicht zu solchen drastischen Maßnahmen greifen.
Mit Blick auf die prächtige Entwicklung ihres Unternehmens stellte Tabra einen Geschäftsführer ein, der ihr das Blaue vom Himmel versprach. Sie hatte ihr Geschäft aus dem Nichts aufgebaut, hatte mit Straßenverkauf begonnen und daraus Schritt für Schritt mit viel Fleiß, Zähigkeit und Talent ein Vorzeigeunternehmen geschaffen. Ich begriff nicht, wozu sie einen arroganten Hanswurst benötigte, der in seinem Leben noch kein Armband getragen, geschweige denn eines hergestellt hatte. Er konnte sich nicht einmal eines schwarzen Wuschelkopfs rühmen. Sie hatte viel mehr Ahnung als er. Das studierte Milchgesicht erwarb zunächst von einem Freund eine Computeranlage, wie die NASA sie benutzt, die keiner von Tabras asiatischen Flüchtlingen zu
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