Das Siegel der Tage
Zeitung mit wildfremden Männern zu verabreden. Einer der Kandidaten schickte ein Foto von sich in einem bis zum Nabel aufgeknöpften Hemd und mit einem halben Dutzend Kreuzen an Goldkettchen vor der behaarten Brust. Das und dazu die Tatsache, daß er weiß war und sich sein Haupthaar am Hinterkopf deutlich lichtete, hätte ihr eigentlich genügen müssen, um ihn uninteressant zu finden, aber er schien nicht ganz dumm zu sein, und deshalb wollte sie ihm eine Chance geben. Sie trafen sich in einem Café, redeten eine ganze Weile miteinander und entdeckten Gemeinsamkeiten wie Che Guevara und andere Helden der Guerrillabewegung. Zu ihrer zweiten Verabredung erschien der Mann mit zugeknöpftem Hemd und einem hübsch verschnürten Geschenk. Sie packte es aus und fand einen aus Holz geschnitzten Penis von optimistischen Ausmaßen. Zu Hause warf sie ihn wutschnaubend in den Kamin, aber Willie überzeugte sie davon, es handele sich um ein Kunstobjekt, und wenn sie Kalebassen sammle, die in Neuguinea männliche Schamteile verhüllten, bestehe kein Grund, wegen dieses Geschenks eingeschnappt zu sein. Ihren Zweifeln zum Trotz ging sie noch einmal mit dem Anwärter aus. Bei diesem dritten Rendezvous fiel ihnen zur lateinamerikanischen Guerrilla nichts mehr ein, und sie schwiegen sehr lange, bis Tabra, um etwas zu sagen, fallen ließ, daß sie Tomaten mochte. »Ich mag DEINE Tomaten«, antwortete der Kerl und legte ihr eine Pranke auf die Brust, für die sie so viel Geld bezahlt hatte. Und da Tabra auf diesen Übergriff mit entsetzter Starre reagierte, fühlte er sich zum nächstenSchritt ermächtigt und lud sie zu einer Orgie ein, bei der die Gäste sich entkleiden und sich Hals über Kopf auf eine Pyramide menschlicher Leiber stürzen, um es zu treiben wie die Römer zu Neros Zeiten. Kalifornisches Brauchtum offensichtlich. Tabra gab Willie die Schuld, der Penis sei kein Kunstgegenstand gewesen, sagte sie, sondern ein unsittliches Angebot und ein Angriff auf ihre Anständigkeit, genau wie sie vermutet habe. Es gab noch ein paar andere Kandidaten, mit denen Willie und ich viel Spaß hatten und Tabra etwas weniger.
Sie war allerdings nicht als einzige für Überraschungen gut. Etwa um diese Zeit erfuhren wir, daß Sally Celias Bruder geheiratet hatte, damit er sein Visum bekam und im Land bleiben konnte. Um die Einwanderungsbehörde von der Rechtmäßigkeit dieser Ehe zu überzeugen, gab es eine Feier mit Hochzeitstorte und ein Foto, auf dem Sally das berühmt-berüchtigte Sahnebaiserkleid trägt, das über Jahre in meinem Kleiderschrank gedöst hatte. Ich bat Celia, das Bild zu verstecken, denn wie sollte man den Kindern begreiflich machen, daß die Lebensgefährtin ihrer Mama den Onkel geheiratet hatte, aber Celia kann Geheimnistuerei nicht leiden. Sie sagt, über kurz oder lang komme doch alles heraus und nichts sei gefährlicher als die Lüge.
Auf Brautschau
Nico wurde immer hübscher. Er trug das Haar lang wie ein Apostel und sah seinem Großvater ähnlicher denn je, die großen Augen mit den schläfrig langen Wimpern, die aristokratische Nase, das kantige Kinn, die schmalen Hände. Ich konnte nicht begreifen, daß die Frauen nicht in Scharen seine Haustür belagerten. Hinter Willies Rücken, der von diesen Dingen nichts versteht, nahmen Tabra und ich uns vor, eine Gefährtin für ihn zu finden, was haargenau das ist, was du unter diesen Umständen getan hättest, Tochter, beschwer dich also nicht.
»In Indien und an vielen anderen Orten der Welt werden Ehen arrangiert. Dort gibt es weniger Scheidungen als im Westen«, erklärte mir Tabra.
»Was nicht heißt, daß die Leute glücklicher sind, sondern nur, daß sie mehr aushalten«, wandte ich ein.
»Das System funktioniert. Aus Liebe zu heiraten bringt jede Menge Ärger mit sich, besser, man sucht zwei Menschen, die zueinander passen, im Lauf der Zeit lernen die sich schon lieben.«
»Ist zwar ein bißchen riskant, aber etwas Besseres fällt mir nicht ein«, mußte ich zugeben.
Solche Arrangements sind in Kalifornien nicht leicht herbeizuführen, wie Tabra selbst über Jahre erleben mußte, als keine einzige Heiratsvermittlung einen brauchbaren Mann für sie auftreiben konnte. Gefiederte Echse war noch der Brauchbarste gewesen, aber von dem fehlte weiter jede Spur. Wir durchforsteten regelmäßig die Presse danach, ob Moctezumas Federkrone in Mexiko aufgetaucht war – erfolglos. In Anbetracht von Tabras fruchtlosen Bemühungen wollte ich nicht auf Zeitungsannoncen
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