Das Siegel des Olymps (Im Bann des Schicksals) (German Edition)
Position, in der sie ihren letzten
Atemzug taten.
Serena
schluckte schwer, als sie näher herantrat und die ernste strenge in den Augen
jedes Einzelnen erblickte. Ihre zarten Hände strichen über das warme Gestein
von einem und ruhten für einen Moment darauf, als hoffe sie einen Pulsschlag zu
spüren, doch nichts. Nur das Kratzen einer aufgerauten Oberfläche, über die
ihre weiche Haut strich. Ein erdrückendes Gefühl legte sich zugleich wie ein
schwerer Stein auf ihren Körper und ließ sie nach Luft schnappen.
Ihr
war … als würden diese Statuen sie ansehen - Unmöglich.
Konzentriert
formten sich ihre Augen zu schmalen Schlitzen, als sie sich vor die großen Marmorpferde
stellte und ihre Blicke über sie gleiten ließ und für den Hauch eines winzigen
Augenblickes, dann, als sie das Gesamtbild der vier betrachtete, schienen ihr
ihre Augen einen Streich zu spielen. Die strengen Blicke aller vier richteten
sich auf sie hinab und erfüllten die junge Halbgöttin mit Schrecken. Sie
blinzelte mehrmals und kniff die Augen zusammen, ehe sie noch einen Blick
riskierte und als hätte sie es nicht geahnt, war es nur eine Einbildung, ein
Trugbild ihrer Fantasie. Der gestrige Abend setzte ihr noch immer schwer zu.
Verwirrt
schüttelte sie den Kopf und wandte den Statuen dann den Rücken zu. Ein Windstoß
schob sie nach vorne und fegte sie fast über den Rand der Plattform hinaus,
doch sie stemmte ihren Körper dagegen und ging in die Knie. In diesem Moment
überkam sie die Wärme, durch die sie das behütende Gefühl der Sicherheit
vernahm.
Nichts
konnte ihr passieren. Nichts konnte ihr jetzt etwas anhaben ,
doch als sie ihren Kopf umwandte, musste sie feststellen, dass auch dies nicht
real war. Sie war alleine, so wie immer.
In
sich gekehrt blickte sie in die Ferne und versank gedanklich im endlosen Blau
des Himmels. Dieser Palast musste sich weitaus höher als der Olymp befinden.
Eine Wolke würde sie über sich vergebens suchen, nur weit unter ihr erblickte
sie eine weiße flauschige Decke, die diesen Palast umgab. Er war wesentlich
kleiner als der Olymp und bei weitem nicht so prachtvoll wie dieser und dennoch
hatte er auf seine eigene Weise eine gewisse Ausstrahlung, die sie verzauberte.
Lange
saß sie am Rande der großen Plattform einfach nur da und blickte gedankenvoll
in die Leere, während sich die Sonne der Erde zuneigte und das Blau einem
orangerot Farbspiel wich. Hin und wieder zog ein erfrischender Luftzug vorbei
und spielte mit ihrem offenen Haar, das sie dann immer wieder hinter ihre Ohren
strich. So hatte sie viel Zeit nachzudenken. An diesem Ort fühlte sie sich dazu
verleitet, tiefer in ihre Gedankenwelt abzutauchen.
Sie
dachte an längst vergangene Zeiten, an Timaios und ihre Mutter, an Lisias und
Hermokrates, was sie jetzt wohl gerade machen würden. Auch dachte sie an
Arkios. Seit der Auseinandersetzung zwischen ihr und ihm hatte sie nichts mehr über
ihn in Hermokrates‘ Briefen gelesen, geschweige denn ihn noch einmal auf dem
Olymp gesehen. Sie dachte an all die Götter und ihre banalen Sorgen, an das
letzte Gespräch mit Hera, das ihr so viel Zuversicht für die Zukunft gab. Sie
dachte an Zeus und seinen Ausrutscher ihr gegenüber. Noch immer spürte sie das
unangenehme Ziehen in ihrer Wange. Selbst an Poseidon musste sie kurz denken.
Wie er wohl darauf reagiert hatte, als er erfuhr, dass Zeus seine halbgöttliche
Tochter, um deren Hand der Gott der Meere kämpfte, in die Obhut des Sonnengottes
gab. Bei diesem Gedanken huschte ihr sogar ein kleines Lächeln über ihre
Lippen. Und dann dachte sie auch wieder an ihre negativen Erfahrungen, an den
schwarzen Schatten, den sie dafür verantwortlich machte, dass sie auf dem Olymp
nicht nur Angst vor dem Einschlafen hatte, sondern auch vor dem Aufwachen. An
das gefährliche Aufeinandertreffen mit Thanatos. Wie blind musste ihr Vater
gewesen sein, sie in die Höhle des Löwen zu schicken.
Er
hatte Recht. Helios hatte Recht behalten. Ihr Vater war in jenem Moment blind.
War er es vielleicht auch, als er seine Entscheidung fällte, sie hierher zu
schicken?
Tief
atmete sie ein und schloss einen kurzen Moment ihre Augen. Er hatte ihr bei
Thanatos den Hals aus der Schlinge gezogen, ebenso wie er es in der vergangenen
Nacht getan hatte.
Ein
kalter Schauer lief ihr den Rücken runter, als sie kurz abschweifte und den widerlichen
Gestank des Todes roch. Sie würgte den Gedanken schnell wieder ab und versuchte
zum Ursprung zurückzukehren.
Er war es.
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