Das Siegel des Olymps (Im Bann des Schicksals) (German Edition)
frische
Tagesluft einzuatmen. Das leise Vogelzwitschern erfüllte sie mit Zufriedenheit
und versicherte ihr, dass der dröhnende Schmerz der vergangenen Nacht nicht ihr
Gehör gesprengt hatte, doch noch immer hörte sie die polternde Stimme ihres
Vaters. Der warme Ton, der ihr einst Sicherheit und Geborgenheit versprach,
hatte rein Garnichts mit dem kühlen Zischen zu tun, das ihr auch jetzt noch
durch die Glieder fuhr und einen eisigen Schauer auf ihrer Haut hinterließ.
Für
den Bruchteil eines Lebens hatte sie wieder eine Familie, die man ihr nun erneut
genommen hatte.
Welch
Ironie des Schicksals , dachte sie sich, als sie einen Blick
nach draußen riskierte, doch sie erblickte nichts als das endlosweite Blau des
Himmels. Keine Wolken, keine Bäume, kein Festplatz, nicht einmal ein Brunnen,
in denen die Vögel munter planschten. Ohne Zweifel. Sie war nicht mehr auf dem
Olymp. Die Luft hier war viel reiner und dünner. Die ersten Atemzüge fielen ihr
noch schwer, doch dann ging es und er wurde wieder flacher.
„Du
bist endlich wach …“, hörte sie eine sanfte Stimme hinter sich und wandte sich
um.
„Ihr
schleicht euch wohl gerne an!“, entgegnete sie, als sie Helios an der Tür
stehen sah und verschränkte ihre Arme. Es war in diesem Moment keine
Abwehrreaktion gegen ihn, vielmehr ein Schutz vor der Umwelt, vor dem Fremden.
Sie
hatte in den letzten Monaten so viel erlebt, dass sie glaubte, sie könne nichts
mehr erschüttern und dennoch war sie sich sicher, dass die Kreaturen, die
draußen auf sie lauerten, sie noch immer überraschen konnten und dass die vermummten
Gestalten, die Helios auf dem Übungsfeld erledigt hatte, nur die Spitze der
Gefahr war, die näher rückte. Sie fühlte es in ihrem Körper, spürte die
Bedrohung in ihrem Blut, doch schwach war sie, nichts dagegen ausrichten zu
können.
„Du
hast lange geschlafen!“, entgegnete er nach einem Moment der Stille.
Wieder
blickte sie nach draußen und wollte sich vergewissern, ob seine Worte der
Wahrheit entsprachen.
Die
Sonne stand hoch oben am Himmelszelt. Er hatte also Recht.
„Ich
… Es tut mir leid“, erwiderte sie verblüfft über diese Tatsache und schüttelte
bedenklich den Kopf.
„Es
ist in Ordnung. Du brauchst deine Ruhe!“
Wieder
sah Serena zu ihm auf und erwiderte seinen Blick. Wann hatte sie ihm das ‚Du‘ angeboten? Wie konnte er überhaupt so gelassen wirken, nachdem schrecklichen
Vorfall in der vergangenen Nacht? Bei diesem Gedanken kehrten auch die anderen Erinnerungen
wieder zurück. Der faulige Geruch dieser Schattenkreatur, der leblose Körper
ihrer einstigen Vertrauten. Sie war nur wegen ihr tot und dies würde sie sich
niemals verzeihen können.
„Du
siehst viel ausgeruhter aus, aber der gestrige Tag zerrt noch immer an deinen
Kräften …“ Serena nickte nur leicht. Kein Wort könnte ihre derzeitige
Gefühlslage beschreiben, kein Wort, nur eines … Chaos.
Angespannt
blickte sie zu ihm auf. Ihr Vater und Athene hatten sie ihm anvertraut, da, wie
Athene gesagt hatte, er kein Interesse an ihr hatte. Also waren alle anderen
Götter hinter ihr her, doch wer würde ihr schaden und eine wehrlose unschuldige
Bedienstete umbringen wollen? Aphrodite? Hera? Schattenläufer? Hades?
Vielleicht sogar Thanatos? An ihn hatte sie in den letzten Tagen kaum mehr
gedacht. Sein Anblick erfüllte sie noch immer mit einem unheimlichen Schaudern,
doch sie hatte ihn nicht oft und lange genug angesehen, als dass sich sein
gruseliges Gesicht in ihr Gedächtnis eingebrannt haben konnte.
Langsam
lief sie um das Bett herum und ließ sich darauf nieder. Darin lag noch der
Umhang ihres Retters, der noch immer seinen süßlich dezenten Duft verströmte.
„Was
ist gestern passiert?“, fragte sie leise, als sie ihre Blicke von ihm abwandte
und ihre Hände sich in ihrem Schoß vergruben.
„Diese
Eindringlinge kamen durch Heras Garten. Sie wussten, dass eine Halbgöttin auf
dem Olymps ist und hatten es wohl auf dich abgesehen, warum wissen wir nicht,
geschweige denn wer sie dazu beauftragt hatte, dich zu holen … Wir dachten
eigentlich, dass niemand das andere Ende dieses Irrgartens erreichen könne …“
„Aber
den Fremden ist es gelungen und sie musste für meinen Ungehorsam
bezahlen“, beendete Serena seinen Satz schroff und biss sich auf ihre trockenen
Lippen. Sie schmeckte geronnenes Blut und spürte erst jetzt, dass ihre Unterlippe
aufgeplatzt war.
„Gib
dir nicht die Schuld daran. Du hast lediglich versucht, dein Leben
Weitere Kostenlose Bücher