Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
mit den Schultern, und auch Juliana wagt nicht zu fragen, ob das für sie etwas zu bedeuten hat.
Jedenfalls ist sie an dem heutigen Tag über das Arrangement des Vaters nicht böse, findet ihren Begleiter aber nicht so charmant wie bei der Jagd im vorherigen Jahr. Er ist zwar höflich, seine Gedanken scheinen jedoch an einem anderen Ort zu weilen.
»Nun, entspricht er nicht Euren Wünschen?«, fragt Wilhelm von Kochendorf leise, als es ihm vor der Kirche gelingt, dicht hinter ihr zu stehen. »Euer Gesicht ist ein offenes Buch, in dem groß ›Enttäuschung‹ geschrieben steht. Ihr solltet Euch darin üben, Eure Züge ein wenig zu kontrollieren. Nicht jeder ist Euch freundlich gesinnt und will Euer Leid mit Euch teilen.«
»Dafür solltet Ihr lernen, Eure stets vor Spott triefende Stimme in den Griff zu bekommen, dann glaubt Euch vielleicht irgendwann jemand Eure Heucheleien!«, faucht das Mädchen.
»Ich fürchte, Euer Vater hat den Weinsberger nicht so im Griff, wie er es sich erhofft hat. Schade, alles umsonst, die ganzen Pläne, die blutigen Hände – nun ja, ich denke nicht, dass er sich eigenhändig beschmutzt hat, und die kleinen Kratzer auf seiner Ehre sind ja leicht zu verbergen, nicht wahr?«
»Ich weiß nicht, wovon Euer kranker Geist spricht, und ich will es auch gar nicht wissen«, fährt ihn Juliana an, kehrt ihm den Rücken zu und drängt sich zwischen den wartenden Gläubigen zu den Eltern durch.
Nach der Messe fordert Konrad von Weinsberg seinen ältesten Sohn auf, der Mutter den Arm zu reichen, und unterbindet dadurch die Bemühungen des Ehrenbergers, Carl wieder zu seiner Tochter zu führen. Ritter Kraft zieht eine finstere
Miene, sagt aber nichts. Juliana gesellt sich rasch zu Dekan von Hauenstein.
»Ihr müsst mir Euren Arm reichen, Pater, rasch!« Gehetzt sieht sie sich um. Schon nähert sich der Kochendorfer, hält aber inne, als der Dekan ihr die Hand gibt.
»Wäre es nicht besser, wenn du dich zu den jungen Rittern gesellen würdest?«, fragt ihr Begleiter.
Das Mädchen schüttelt nachdrücklich den Kopf. »Ritter Carl wurde zu seiner Mutter befohlen, und sein jüngerer Bruder ist eine Plage. Und meine Meinung über Wilhelm von Kochendorf habe ich Euch, glaube ich, mehr als einmal mitgeteilt.«
Der Dekan nickt. »Ja, das hast du wirklich, und ich habe deine Worte über mein Krankenlager nicht vergessen. Ich dachte nur, du könntest deine Meinung geändert haben.«
»Niemals!«, stößt sie hervor.
Gerold von Hauenstein wechselt das Thema und beginnt, über Belangloses zu plaudern. Juliana antwortet ihm abwesend, beobachtet dabei jedoch den Vater, der ein paarmal versucht, Ritter Konrad von Weinsberg von seinem Waffenknecht und den anderen Gästen zu trennen und ihn in ein Gespräch zu ziehen. Seine Versuche bleiben aber ohne Erfolg. Ob es der Zufall ist oder der Weinsberger bewusst die Zweisamkeit verhindert, kann das Mädchen nicht erkennen. Ihr Eintreffen auf Ehrenberg unterbindet jedenfalls jeden weiteren Versuch. Nun richtet sich alle Aufmerksamkeit auf das Festessen, das die zurückgebliebenen Mägde und Knechte auf der langen Tafel in der Halle aufgetischt haben.
Die Sonne steht schon tief, als Konrad von Weinsberg die Halle verlässt. Vielleicht, um sich zu erleichtern oder den Kopf vom vielen Wein zu klären. Vielleicht drückt ihn der Leib nach Lammbraten und Pastete, Suppe und Schmorbraten, Fisch und Gebäck.
Juliana bemerkt, wie der Vater ihm nachsieht und dann nach einer Weile ebenfalls aus der Halle in den Hof tritt. Auch der Waffenknecht Germar hat die Halle kurz nach seinem Herrn verlassen. Julianas Neugier treibt sie, sich von ihren Tischherren zu verabschieden, um den Männern zu folgen. Blinzelnd bleibt sie im Hof stehen. Die tief stehende Sonne trennt den Hof in Feuer und Finsternis, durch die scharfe Schattenlinie begrenzt, die rasch auf die Ostmauer zueilt, um dann an ihr hinaufzusteigen, bis das letzte Glühen oben auf den Zinnen verglimmt.
Juliana sieht sich um, kann die beiden Ritter aber nicht entdecken. Hat sie sich geirrt? Hat ihre Phantasie sie genarrt? Gerade überlegt sie, ob sie in die Halle zurückkehren soll, als sie neben den Mauern des Bergfrieds das Purpur von Vaters Gewand aufblitzen sieht. Sie rafft den hellgelben Surkot und den blau schimmernden Stoff des Unterkleides und hastet im Schatten verborgen über den Hof. Vorsichtig nähert sie sich der Ecke und späht zu dem Verschlag hinüber, unter dem Fässer und Kisten Schutz vor dem Regen
Weitere Kostenlose Bücher