Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
Der junge Mann war totenblass und schwankte, aber der kräftige Mönch hielt ihn fest.
»Wir sollten zusehen, dass wir das Kloster erreichen. Es ist spät geworden. Versuche zu gehen, ich stütze dich.«
André zog eine Grimasse, nickte aber. Seine Schritte waren unsicher, und immer wieder gaben seine Knie nach, doch der Bettelmönch hielt ihn mit eisernem Griff und ließ nicht zu, dass er fiel.
Pater Bertran sah unsicher von einem zum anderen. Da sich niemand um ihn kümmerte, schulterte er mit einem Seufzer sein Bündel und tappte den anderen hinterher über die offene Hochebene. Später säumten wieder vereinzelte Eichen und Kiefern ihren Weg. Der Wald rückte heran und schloss sich um die späten Wanderer. Inzwischen war es völlig dunkel, und sie konnten ihren Weg eher erspüren als sehen. Dafür erklangen wieder die Stimmen der Wölfe hinter ihnen, und wie es Juliana schien, kamen sie immer näher.
Würden sie nun, da sie den Messern der Strauchdiebe entkommen waren, den Reißzähnen von Wölfen zum Opfer fallen? Das Mädchen drängte sich so nah wie möglich an Bruder Rupert, der den noch immer schwachen André stützte. Was raschelte dort rechts im Unterholz? Sie versuchte, die Finsternis zu durchdringen. Bildete sie sich das nur ein, oder leuchteten dort gelbe Augen? Wieder ließ das Heulen der Wölfe sie zusammenzucken. Es klang unheimlich nah! Würden sie angreifen?
Selbst Ritter Raymond schien ihre Befürchtung zu teilen und zog sein Schwert. Die Waffe erhoben, den Blick aufmerksam im Rund schweifend, schritt er voran. Der asketische Mönch in seiner schwarzen Kutte blieb dicht bei ihm. Es schien dem Mädchen, dass Pater Bertrans Angst inzwischen genauso groß war wie die ihre. Sie schwiegen, und jede Minute, die ereignislos verstrich, schien die Spannung noch zu verstärken.
Langsam folgten sie dem Pfad über die Hochebene, bis der Weg sich nach Westen abzusenken begann. Sie ließen den Wald zurück. Als der Wind die Wolkendecke aufriss, fiel das Mondlicht auf einen Glockenturm, der einen ummauerten Gebäudekomplex überragte: das Kloster San Juan de Ortega. Sie waren in Sicherheit.
Obwohl das Kloster selbst in der Dunkelheit der Nacht vernachlässigt und ein wenig baufällig wirkte, erschien es Juliana wie das Paradies. Sie wollte gar nicht daran denken, dass sie den Schutz des Klosters am nächsten Morgen schon wieder verlassen musste. Nun war sie erst einmal erleichtert, eine hohe Mauer zwischen sich und den heulenden Wölfen zu wissen und keinen weiteren Angriff fürchten zu müssen.
Ein Novize mit feisten, roten Wangen führte sie ins Spital, wo Bruder Rupert André auf eine Matratze bettete.
»¿Qué te pasa?«, fragte der plumpe junge Mann, schüttelte aber den Kopf, als André auf Französisch zu erzählen begann.
»Bandidos, ladrones«, schimpfte Pater Bertran, der sich von seinem Schrecken noch nicht erholt zu haben schien.
»Salteadores«, sagte der Novize und nickte zustimmend. »Vale, comprendo.« Er versprach, den Fray Médico zu holen, und eilte davon. Pater Bertran folgte ihm, vielleicht, um sich Ritter Raymond im Refektorium anzuschließen. André ließ sich mit einem Stöhnen auf das Kissen sinken.
»Versuche zu schlafen«, riet Bruder Rupert.
»Es dreht sich alles, wenn ich die Augen schließe«, wehrte André ab. »Und außerdem ist mir so übel.« Er hatte den Satz kaum beendet, da bäumte sich sein Körper auf, und ein Schwall übel riechender Brühe ergoss sich in die Binsen und über die Stiefel des Bettelmönchs. Mit einem Fluch sprang Bruder Rupert zurück und starrte missmutig auf seine Schuhspitze.
»Ist das der Dank, dass ich dich durch die Wälder geschleppt habe, bis meine Schultern krumm wurden?«, schimpfte er. André lief rot an und murmelte eine Entschuldigung.
»Dafür kann er nichts«, verteidigte ihn Juliana und schob
sich zwischen den Mönch und den jungen Ritter. »Schreit ihn nicht so an. Er ist verletzt und braucht Ruhe!«
»Johannes, der Engel der Rache«, spottete Bruder Rupert. »Nun, dann bleib bei unserem zusammengeschlagenen Ritter und lass dir über dein Gewand kotzen. Ich will mir den Appetit bewahren und verlasse euch jetzt. So wie es draußen im Gang riecht, ist ein gutes Essen auf dem Feuer.«
Juliana sah ihm mit funkelnden Augen nach. Auf ihren Wangen erschienen rote Flecken. »Er kann so widerlich sein, dass ich ihm ins Gesicht schlagen möchte!«
»Sei nicht so hart«, widersprach André. »Vergiss nicht, er hat mich
Weitere Kostenlose Bücher