Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
schrecklichen Bilder zu ihr zurückkehren. Die dünnen, weißen Kinderbeine mit den kleinen Füßen. Sie fährt herum und sieht ihn an.
»Die Füße! Habt Ihr Euch seine Füße angesehen?«
Der Ritter lässt ihren Ärmel los und weicht unter ihrem starren Blick ein Stück zurück. »Was soll mit den Füßen gewesen sein?«, fragt er irritiert.
»Denkt genau zurück, und dann sagt mir: Waren seine Fußsohlen beschmutzt?«
Noch immer blickt der Ritter verwirrt drein, doch dann stößt er einen leisen Pfiff aus. »Eure Kinderfrau hat ihn nicht zufällig an diesem Abend in einen Waschzuber gesteckt?«
Juliana nickt. Sie ist wütend auf sich, dass sie nicht früher daran gedacht und nicht selbst nachgesehen hat. Nun ist Johannes’ Körper in einem Sarg unter einer Steinplatte verschwunden.
»Ihr meint also, wenn ihn jemand getragen hätte, dann wären seine Fußsohlen sauber gewesen. Und Ihr habt nicht darauf geachtet? Hm.« Er legt den Zeigefinger an seine Lippen. Ein
paar Mal huscht sein Blick zu ihr hinüber, dann strafft er sich. »Seine Füße waren nicht richtig sauber…«
»Doch waren sie so schmutzig, dass man annehmen könnte, er wäre über den Hof gelaufen?«
Wilhelm zuckt mit den Schultern. »Wer kann das sagen? Schlammig waren sie nicht, aber es hat auch nicht geregnet, und der Hof war trocken.«
Juliana überlegt. »Er kann von sich aus die Kemenate verlassen, in der Küche etwas genascht haben und dann später auf seinen Mörder gestoßen sein.«
Wilhelm von Kochendorf schüttelt den Kopf. »Ihr gebt nie auf. Nun, dann wünsche ich Euch viel Erfolg bei Eurer Mördersuche. Eines kann ich Euch allerdings versichern, wenn Ihr Euren Verdacht weiter auf mich richtet, verschwendet Ihr nur Eure Zeit.«
Von der anderen Seite des Marktplatzes kommt Tilmann auf sie zu. Seine Miene verrät, was er davon hält, das Fräulein mit dem Ritter anzutreffen. Er strafft die Schultern und kommt mit hocherhobenem Haupt auf die beiden zu. Seine Stimme klingt tiefer als sonst, als er der Tochter seines Ritters den Arm anbietet.
»Jungfrau Juliana, ich bringe Euch nach Hause!« Er wirft dem Kochendorfer einen herausfordernden Blick zu. Der zuckt mit den Schultern.
»Nun, dann mache ich mich eben auch auf den Heimweg. Mit Eurem jungen Wachhund, knurrend und zähnefletschend an meiner Wade, will mir ein Geplänkel mit Euch nicht schmecken.«
Sie nickt, verabschiedet sich kühl und geht mit Tilmann davon. Sie gönnt dem Kochendorfer nicht den Triumph, sich noch einmal nach ihm umgedreht zu haben. Leider erfährt sie dadurch auch nicht, ob er ihr nachsieht.
Der Kratzer der Fischgräte bleibt den ganzen Abend über und lässt sie immer wieder in Grübelei verfallen. Sie schließt die Augen und versucht, die Situationen noch einmal Schritt für
Schritt zu durchleben, seien diese auch noch so schmerzlich. Da ist etwas! Warum nur kann sie sich nicht erinnern?
Erst als Juliana in ihrem Bett liegt und die Kinderfrau auf ihrer Strohmatratze zu ihren Füßen schnarcht, weiß sie es plötzlich. Sie fährt in ihrem Bett auf und presst sich die Hand auf den Mund, um nicht laut aufzuschreien. Herr im Himmel! Er kann es nicht gesehen haben! – Und wenn doch, dann bedeutet das… Sie zieht die Decke bis ans Kinn und kneift die Augen zusammen, als könne sie dadurch verhindern, dass ihre Überlegung bis zum Ende weitergeht, wo die Wahrheit unerbittlich auf sie wartet.
27
San Juan de Ortega
J uliana fühlte, wie die Klinge des Dolches über ihren Hals fuhr und ihre Haut zerschnitt. Dann löste sich die Umklammerung des Strauchdiebs mit einem Ruck. Der Schrei des Angreifers und ein ersticktes Gurgeln sandten eine zweite Welle von Übelkeit durch ihren Leib.
»Johannes!« Zwei kräftige Hände umfassten ihre Handgelenke und zogen sie hoch. Das Mädchen öffnete die Augen. Als Erstes sah sie in das bärtige Gesicht des Bettelmönchs, dann fiel ihr Blick auf den Körper zu seinen Füßen, aus dessen linkem Auge der Griff eines Messers ragte. Der Schwall aus ihrem Magen brach sich so schnell seine Bahn, dass er sich über die Beine des Toten ergoss.
»Alles in Ordnung?«
Das Mädchen nickte, obwohl es noch nicht darüber nachgedacht hatte. Sie hörte Pater Bertran in den höchsten Tönen kreischen. Einer der Strauchdiebe hatte ihn entdeckt und zerrte ihn an seiner Kapuze unter dem Baum hervor. Juliana starrte auf die erhobene Klinge in seiner Hand. Ritter Raymond kam eben mit blutigem Schwert aus dem Wald zurück, war jedoch
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