Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
unser mutiger Johannes«, erklang Ritter Raymonds
Stimme. Er strich sich das blonde Haar zurück, das ihm der Nachtwind ins Gesicht wehte. »Schreckhaft wie ein Mädchen!« Sein Tonfall zeigte deutlich, dass sich seine Laune nicht gebessert hatte. »Kinder gehören zu dieser Zeit in ihr Bett«, fuhr er fort, doch Juliana ignorierte die Aufforderung und blieb auf der Bank sitzen. Der Ritter stieß einen ärgerlichen Laut aus.
»Guten Abend und Gottes Segen, Ritter«, begrüßte ihn die Schwester. »Kann ich Euch mit irgendetwas behilflich sein, oder wolltet Ihr nur die Schönheit und Ruhe der Nacht genießen?« Von fern erklang das Geheul eines Wolfes. Der Ritter schnaubte durch die Nase. Er warf Juliana noch einen scharfen Blick zu, als diese sich jedoch nicht vom Fleck rührte, schlug er einen betont freundlichen Ton an.
»Nein, es ist nicht die Nacht, die mich hier in den Hof treibt. Ich wollte Euch etwas fragen, Schwester. Wie ich hörte, lebt Ihr hier und kümmert Euch um Frauen?«
Isabella sah ihn aufmerksam an. »Das ist richtig.«
»Nun, ich wollte Euch nach einer Pilgerin fragen. Sie ist auf dem Weg nach Santiago. Ein junges Mädchen aus Franken mit blondem Haar, das allein nach Santiago wandert. Sie ist auf der Suche nach ihrem Vater.«
Juliana musste sich zwingen, nicht unruhig auf ihrem Platz herumzurutschen. Sie senkte den Blick auf die Grasbüschel zu ihren Füßen, die in den Ritzen zwischen den Steinplatten hervorquollen.
Die Frau im schwarzen Habit faltete die Hände in ihrem Schoß. »Es kommen nur sehr wenige Frauen über diesen Weg nach Santo Iacobus, und wenn, dann nicht allein. Ein Vater mit seiner Tochter war vor einigen Wochen hier – sie kamen aus Burgund, und dann ein Kaufmann mit seinem Eheweib. Nein, die Frauen, die sich in meine Obhut begeben, sind aus Kastilien, manche auch aus Galicien oder Navarra, und sie kommen hierher, um ein Kind empfangen zu können.«
»Könnte es sein, dass sie unbemerkt am Kloster vorbeigewandert ist?«
»Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Jeder Wanderer, der die Ocaberge überwunden hat, kommt zumindest für eine Rast und ein stärkendes Mahl zu uns herein. Ein blondes Mädchen wäre nicht unbemerkt geblieben.«
Der Ritter stieß einen ärgerlichen Laut aus, verneigte sich dann jedoch und wünschte eine gute Nacht. Noch während er sich über den Hof entfernte, konnte Juliana ihn vor sich hin schimpfen hören: »Es ist so sinnlos. Wahrscheinlich ist sie gar nicht hier, sondern im Nest irgendeines Ritters am Lauf des Neckars, und ich wetze mir die Sohlen durch.« Seine Stimme verklang.
»Ein blondes Fräulein aus Franken habe ich nicht gesehen, aber einen blonden Ritter aus diesem Land«, sagte Isabella. »Erst gestern saß er hier neben mir auf der Bank und erzählte mir von seiner Heimat. Von seiner Burg, die über einem Fluss namens Neckar aufragt, und von seinem Weib und seiner Tochter, die er verlassen musste, um seine Sühnereise nach Santiago anzutreten.«
»Gestern Nacht?«, flüsterte Juliana. »Hat er die Berge gesund überquert? Wann ist er weitergezogen?«
Falls sie sich über die Frage wunderte, so ließ die Schwester es sich zumindest nicht anmerken. »Er brach heute in aller Frühe auf, und soweit ich es sehen konnte, erfreute er sich bester Gesundheit.« Das Mondlicht beschien ihre Gesichter. Die Schwester stutzte. »Du siehst ihm ähnlich!« Erstaunt musterte sie ihren Banknachbarn. »Also wenn der Ritter vorhin nicht gesagt hätte, es wäre ein Mädchen, das nach seinem Vater sucht, dann…« Sie verstummte und wandte den Blick ab. Abrupt erhob sie sich, strich sich Habit und Schleiertuch glatt und sprach einen Nachtsegen.
»Ich werde beten, dass du ihn schon bald einholst«, fügte sie leise hinzu und eilte dann über den Hof davon, auf das niedrige Haus zu, das fast unter den Ästen der alten Eiche verschwand. Juliana starrte ihr sprachlos hinterher.
Juliana schlief tief und traumlos, als wäre sie in eine Ohnmacht gefallen. Sie hörte die anderen Pilger nicht schnarchen, merkte nicht, dass erst Ritter Raymond und dann Bruder Rupert die Schlafkammer verließen und erst nach Stunden zurückkehrten. Erst als die Glocke zum Frühmahl rief, regte sie sich und schlug die Augen auf. Ihre Hand tastete nach dem Verband an ihrem Hals, den der Fray Médico noch am Abend angelegt hatte. Der Schnitt schmerzte kaum noch und hatte bereits eine feste Kruste gebildet, und auch sonst fühlte sie sich erstaunlich gut. Sie reckte die
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