Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
nickte. »Das ist richtig. Ich helfe den Frauen und kümmere mich um sie.«
Juliana sah sie überrascht an. »Frauen? Was für Frauen? Ich habe auf meiner Reise nur selten eine Pilgerin gesehen – und wenn, dann mit ihrem Gatten oder Vater.«
Isabella schüttelte den Kopf. »Nicht die Reisenden nach Santiago. Ich meine die Frauen, die hierher kommen, um zu beten und um ein Kind zu flehen. Für viele ist Ortega die letzte Hoffnung. Wenn sie von weit her kommen, dann müssen sie die Nacht unter diesem Dach verbringen. Manche sind auch krank – an
Körper oder Seele. Dort drüben, in dem kleinen Anbau, den du hinter dem Baum siehst, dort wohne ich mit ihnen.
»Und, hilft San Juan den Frauen?«
Die Schwester lachte leise. »Höre ich da den Zweifel in deiner Stimme? Zweifeln darf man nicht, man muss glauben, dann sind die Mutter Gottes und die Heiligen uns gnädig. Ich habe viele Frauen erlebt, deren Wunsch erfüllt wurde.«
Juliana nickte und schwieg. Sie dachte darüber nach, warum sich gerade dieser Heilige der Unfruchtbaren annehmen sollte. Gab es im Himmel eine Art Aufgabenverteilung – wie auf einer Burg? Jeder hatte seinen Bereich, in dem er die ihm zugeteilte Arbeit erledigte. Dann war Gott der Burgherr, der die Aufgaben verteilte und über deren ordentliche Erledigung wachte? Die Vorstellung ließ sie schmunzeln. Oder kamen die Heiligen mit der Bitte in den Himmel, sich für Fischer oder Reisende, für eine bestimmte Stadt oder die Hirten auf dem Feld, für Schwindsüchtige oder eben für unfruchtbare Frauen einsetzen zu dürfen?
»Er war ein guter Mann«, unterbrach Sergenta Isabella nach einer Weile die Stille. »Ich kann es fühlen. Sein Geist ist noch in diesen Mauern, die er hier, an einem der gefährlichsten Orte des Weges, errichten ließ, um die Pilger zu schützen. Es ist dieses Gefühl, das mich bleiben ließ. Ich habe niemals in meinem Leben diesen Frieden gefühlt. Nicht bei meiner Familie früher und nicht in meinem Kloster. Hier ist mein Platz.«
Juliana fühlte, dass sie die Wahrheit sprach. Sie konnte den Frieden spüren, der die Frau an ihrer Seite wie eine unsichtbare Wolke umgab. Wie alt war sie? Nicht viel älter als fünfundzwanzig, doch in ihrem Antlitz schimmerte die Weisheit des Alters, ohne ihm die Schönheit der Jugend zu nehmen. Für einen Moment fühlte das Ritterfräulein einen Stich von Neid. Wie herrlich musste es sein, seinen Platz gefunden zu haben. In ihrer Welt war nichts mehr, wie es sein sollte. Die Hoffnung, den Vater endlich aufzuspüren, meldete sich schmerzhaft in ihr. Er würde alle Fragen beantworten und die Zweifel ausräumen. Er
würde ihre Welt wieder in Ordnung bringen. Und wenn nicht? Wenn ihre Hoffnung sie betrog? Wenn ihre Welt nicht mehr zu retten war?
»Erzählt mir von Eurem Heiligen«, forderte sie die Schwester auf, um diesen bedrückenden Gedanken zu verdrängen.
»Er war ein Schüler des Santo Domingo und führte dessen Werk fort. Er befestigte die Straßen und baute Spitäler für die Pilger. San Juan ist selbst bis nach Jerusalem gepilgert und brachte von dort Reliquien von fünf Heiligen mit. Von Nikolaus und der heiligen Barbara und selbst ein Stück des heiligen Jakobus.«
Juliana fragte nicht, wie er in Jerusalem ein Stück des Apostels hatte finden können, dessen Grab doch in Galicien entdeckt worden war, dort, wo heute die Kathedrale von Santiago aufragte.
»Eines Tages geriet er in tödliche Gefahr. Er betete zum heiligen Nikolaus und schwor, ihm eine Kirche zu errichten, wenn er ihn errette. Als er nach Kastilien zurückkam, ließ er sich also hier nieder und begann, das Kloster zu erbauen mit der Kirche, dem Kreuzgang und den Klosterräumen außen herum. Er war ein angesehener Mann, den selbst Bischöfe und Könige hier in seinem Kloster in den Ocabergen aufsuchten. San Juan de Ortega erblühte!«
Juliana sah sich um. Der Mond war hinter den Wolken hervorgetreten und beleuchtete die baufälligen Gebäude. Als habe sie die Gedanken des Ritterfräuleins gelesen, seufzte Isabella.
»Die Zeiten sind leider vorbei. Heute kümmert sich keiner der hohen Herrn mehr um uns. Die Brüder werden immer weniger, und die, die bleiben, wissen nicht, wie sie die Gebäude erhalten können. Manches Mal haben wir kaum genug, um die Pilger zu beherbergen.«
Juliana wollte etwas sagen, als plötzlich eine Gestalt aus dem Schatten zu ihnen trat. Sie hatte den Mann nicht kommen hören und erschrak so, dass sie einen Schrei ausstieß.
»Sieh an,
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