Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
noch zu weit weg, um dem Pater zu Hilfe zu eilen. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Bruder Ruperts Hand zu seinem Stiefel fuhr, dann holte er aus, und etwas Silbernes surrte durch die Luft. Der Straßenräuber stieß einen Schrei aus, drehte sich halb um seine Achse und brach zusammen. Schon im Fallen ließ er den Pater los.
Es war plötzlich seltsam still. Man konnte den Wind wieder durch die Baumwipfel rauschen hören. Der einzige menschliche Laut war das leise Stöhnen des Mannes, den André an Arm und
Bein verletzt hatte. Er kauerte auf dem Boden und umklammerte die zerschmetterte Kniescheibe.
Raymond de Crest trat zu Pater Bertran und zog ihn grob auf die Beine.
»Reißt Euch zusammen«, zischte er ihn an. Der hagere Augustiner zitterte am ganzen Leib. Mit fahrigen Bewegungen versuchte er sich den Schmutz von der schwarzen Kutte zu wischen. Juliana und Bruder Rupert traten zu ihnen, um sich zu überzeugen, dass die beiden Mitreisenden unverletzt geblieben waren.
Der Ritter wälzte den reglosen Körper des Angreifers auf den Bauch. Er beugte sich hinab und zog an dem Griff, der zwischen den Schulterblättern des Toten steckte. Raymond de Crest wischte das Blut am Kittel des Erstochenen ab, ehe er dem Bettelmönch den Dolch zurückgab.
»Das war ein guter Wurf«, sagte er und fixierte den Mann in der braunen Kutte mit zusammengekniffenen Augen. »Euer Kloster scheint seinen Brüdern ungewöhnliche Dinge beizubringen – oder gibt es da ein Leben vor dem Gelübde?«
Bruder Rupert antwortete nicht. Er wandte sich ab und ging zu André hinüber, der mit blassem Gesicht und geschlossenen Augen auf dem Boden lag. Juliana folgte ihm.
»Ist er tot?«, fragte sie mit zitternder Stimme, als der Mönch neben ihm auf der Erde kniete.
Bruder Rupert schüttelte den Kopf. »Nein, der Schlag hat ihn nur betäubt. Ich kann jedoch nicht sagen, ob er nachhaltigen Schaden davongetragen hat. Gib mir Wasser, vielleicht kann ich ihn aufwecken.«
Juliana reichte ihm ihre Kürbisflasche. Der Mönch hob Andrés Oberkörper an und spritzte ihm Wasser ins Gesicht. Dann setzte er die Flasche an dessen Lippen.
Während sich das Mädchen und der Bettelmönch um André kümmerten, trat Ritter Raymond zu dem Mann, der von Bruder Ruperts Faust niedergestreckt worden war. Der Gesetzlose stöhnte und begann sich zu regen, dann öffnete er die Augen
und versuchte sich aufzusetzen. Der Ritter zog seinen Dolch aus der Scheide. Seine Miene wirkte unbeteiligt, als er dem Mann fast gemächlich die Spitze an die Brust setzte. Julianas Augen weiteten sich.
»Nein!«, schrie sie. In diesem Augenblick stieß der Ritter zu. Der gerade aus seiner Ohnmacht Erwachte sank tot in den Schlamm zurück. Raymond de Crest erhob sich. Seine Augen wanderten zu dem Verletzten, der noch immer leise jammernd sein Bein umklammerte.
»Raymond«, polterte der Bettelmönch, »Ihr nennt Euch einen christlichen Ritter, also handelt auch danach! Es ist eine Sache, sich im Kampf zu wehren, aber eine andere, einen Besiegten einfach hinzurichten.«
Raymond de Crest sah kalt auf den Mann hinab, der unter diesem Blick verstummte. »Sie hätten auch uns gegenüber keine Gnade gekannt. Warum soll ich sie am Leben lassen? Dass sie sich erholen und noch andere Pilger überfallen? Das könnt Ihr nicht wollen!«
In diesem Moment regte sich André. Bruder Rupert richtete ihn auf und gab ihm zu trinken. Ritter Raymond zog sein Schwert aus der Scheide und fixierte den verletzten Strauchdieb. Juliana öffnete den Mund. In einem weiten Schwung holte der Ritter aus und ließ die Schneide hinabsausen, die mit einem Schlag den Hals durchtrennte. Der Kopf des Gesetzlosen flog durch die Luft, schlug auf dem Weg auf und rollte auf das Mädchen zu. Aus dem Hals des Toten schoss eine Fontäne hellen Bluts. Die Arme zuckten, der Körper bäumte sich auf, ehe er nach hinten fiel. Juliana kniff die Augen zusammen und schrie. Sie schrie und schrie, bis zwei Hände sie packten und grob schüttelten.
»Jetzt ist es genug!«, herrschte sie der Bettelmönch an. »Stell dich nicht so an, dir ist nichts geschehen, also halte den Mund! Die Wunde an deinem Hals ist nicht tief und wird bald heilen.« Er hob das Mädchen hoch und stellte es auf die Füße. »So, nun nimm deinen Rucksack und deinen Stab und geh voran. –
Und Ihr tragt Andrés Bündel.« Er drückte dem erstaunten Ritter Raymond Tasche und Stock des Jünglings in die Hand. Dann schob er den Arm unter Andrés Achseln und zog ihn hoch.
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