Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
Roncesuailles. Die Basken würden diesen Namen übrigens nie in den Mund nehmen. Sie nennen den Ort Orierriaga 3 .« Wieder teilte ein Grinsen sein Bartgestrüpp. »Sie sind nicht so gut auf euren Kaiser und seinen Roland zu sprechen.«
»Warum denn nicht?«, wunderte sich Juliana und folgte ihrem Führer durch die Kirche zurück.
»Weil der Kaiser nicht sehr zartfühlend mit ihrer Stadt Irunga 4 – oder Pampalona 5 , wie manche sie nun nennen – umgesprungen ist. Solch eine Festung in seinem Rücken gefiel dem großen Kaiser nicht, also ließ er die Stadt zerstören und die Mauern schleifen. Heute ist die Stadt natürlich längst wieder aufgebaut. Du wirst es sehen, wenn du sie morgen erreichst … Jedenfalls hat das wiederum den Basken nicht geschmeckt. Hast du dich nie gefragt, wie Roland in den Hinterhalt geriet? Die Basken kannten sich hier aus. Sie hätten gewusst, wo sie zuschlagen müssen.«
Das Mädchen sog geräuschvoll die Luft ein. »Aber sie waren doch Christen! Meint Ihr wirklich, sie hätten mit den Sarazenen gemeinsame Sache gemacht?«
Der Alte tätschelte ihr die Schulter. »Du bist noch sehr jung. Warte ab. Es wird nicht dauern, bis du solch ein langes Gewächs im Gesicht hast wie ich, bis du begreifst, was den Menschen am wichtigsten ist und für wie wenig sie bereit sind, Treue und Schwüre zu vergessen. Vielleicht haben die Chronisten ja nur behauptet, die Nachhut wäre den Sarazenen zum Opfer gefallen. Eine viele Tausend Mann starke Armee Ungläubiger kann selbst ein Held nicht besiegen. Wäre es dagegen nicht peinlich gewesen zuzugeben, dass eine rachsüchtige Horde Basken dem großen Roland und seinen Mannen das Lebenslicht ausgeblasen hat?«
»Welch lästerlicher Gedanke«, wehrte Juliana ab. Sie stieg die Stufen hoch und öffnete das Kirchenportal. Der Alte humpelte schwerfällig hinterher. »Das könnt Ihr nicht im Ernst meinen. Ich bin mir sicher, dass es sich genauso zugetragen hat, wie die Troubadoure es erzählen.«
Ihr Begleiter neigte das Haupt. Gemeinsam ließen sie die Einfriedung des Klosters hinter sich und traten in die Morgensonne hinaus.
»Die alten Geschichten zu glauben, ist das Privileg der Jugend. Jedenfalls solltest du es nicht versäumen, die Gebeine im Silo de Carlomagno zu betrachten. Und denke an mich, wenn du hinter dem Weiler des Klosters, durch den du schon bald kommst, deinen Blick über die weite Ebene schweifen lässt. Denn dort ließ der böse Muselmann seine fünfzigtausend Mann starke Truppe aufmarschieren. Welch ein Bild muss das für den tapferen Roland von seinem Hügel herab gewesen sein, der noch nicht einmal über die Hälfte an Männern verfügte!«
Ihr Begleiter verneigte sich ein weiteres Mal. »Wie ist dein Name, mein junger Freund?«
»Jul – äh – Johannes«, stotterte das Mädchen und lief rot an.
»Juan, wie unser heiliger Apostel und Verfasser der Apokalypse.«
»Und wer seid Ihr?«, stieß sie hervor, um ihn von ihrem Patzer abzulenken.
Der Alte legte den Kopf schief und sah sie aus seinen klaren, blauen Augen an. »Ich wurde nach dem ungläubigen Thomas getauft. Ein ganz passender Name, auch wenn meine Eltern das bei meiner Taufe noch nicht ahnen konnten – oder vielleicht doch? Wer weiß.«
»Seid Ihr ein Pilger auf dem Weg zum heiligen Jakobus?«
Er sah zum Himmel hinauf. Das Blau seiner Augen schien noch dunkler zu werden. »Sind wir nicht alle Pilger? Sind wir nicht unser ganzes Leben lang Suchende?« Er schien etwas zu betrachten, das nur er selbst sehen konnte. »Einst kam ich von Norden, wie du, über die Berge, um Santiago zu suchen. Es ist viele Jahre her, und mein Weg ist nicht zu Ende. Und doch ist noch nicht der rechte Zeitpunkt weiterzuziehen. Ja, ich werde noch ein wenig hier bleiben. Alles wird sich finden.« Sein Blick kehrte zu dem Mädchen zurück.
»Ich wünsche dir Gottes Segen auf deiner Reise, Juan«, sagte er zum Abschied. »Vielleicht gehörst du zu den Glücklichen, die mehr finden, als sie suchen. Vielleicht. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass du dich daran gewöhnen musst, dass unser Weg mit mehr Fragen als Antworten gepflastert ist. Aber wenn Er es gut mit uns meint, lernen wir, mit den wenigen Antworten zufrieden zu sein.«
Damit drehte er sich um und humpelte zum Kloster zurück. Juliana sah dem »ungläubigen Thomas« nach, bis er im Schatten des Torbogens verschwand.
Sie war wieder unterwegs. Setzte einen Fuß vor den anderen. Ihre Schuhe hatte sie gesäubert und mit Fett eingerieben,
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