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Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)

Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)

Titel: Das Siegel des Templers: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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der Mantel und ihre Kleider waren über Nacht fast getrocknet. So
schritt sie weit aus und summte in dem Takt, in dem der Wanderstab den Boden berührte. Singen war gut, das hielt einen vom Nachdenken ab.
    Juliana folgte dem sanft abfallenden Pfad nach Südosten. Die Buchen wurden spärlicher, stattdessen wuchsen Eichen und Lärchen, Buchsbäume und Stechpalmbüsche an ihrem Weg. Ein Kleiber tippelte kopfüber einen Stamm herunter und flog dann davon, als ihre Schritte sich näherten. Sonnenstrahlen durchfluteten das lichte Blätterdach und malten Muster auf den weichen Waldboden. Der Abhang wurde wieder steiler, und schon bald lag das Dorf zu ihren Füßen, dessen Höfe den Augustinerherren gehörten. Außer ein paar Hunden begegnete das Mädchen keinem Lebewesen. Die Bauern und Knechte waren wohl auf den Feldern unterwegs oder beim Vieh auf den Weiden, die sich hier ringsum erstreckten.
    Der Weg führte über eine steile Böschung zu einem Bach hinunter. Juliana tänzelte über einen dicken Stamm, den die Dorfleute wohl zu diesem Zweck übers Wasser gelegt hatten. Ein weiter Talkessel mit grünen Weiden erstreckte sich vor ihr, auf allen Seiten von Hügelketten umgrenzt.
    Hier also hatte sich das große Sarazenenheer versammelt, kamen ihr die Worte des Alten in den Sinn. Und da er sich nun schon einmal in ihrer Erinnerung befand, drängten sich auch die anderen Dinge wieder in ihr Bewusstsein, die der ungläubige Thomas gesagt hatte.
    Alle Menschen sollten Pilger sein? O nein, da irrte er sich! Sie wollte nicht nach Santiago ziehen, sie wollte von zu Hause weg! Es war eine Flucht vor der ratlosen Miene der Mutter, die ihre Verzweiflung in Schweigen hüllte, vor den Blicken der Bürger und Burgmannen, die, sobald sie ihnen den Rücken zukehrte, über »die Sache« flüsterten, vor Wilhelm von Kochendorf, der sie nun umso heftiger bedrängte und sie heiraten wollte, um an Vaters Stelle Vogt der Pfalz zu werden. Vielleicht versuchte sie auch, vor sich selbst zu fliehen und vor der Gewissheit, dass alles, was ihr Leben ausgemacht hatte, mit diesem einen Abend
im Juni weggewischt worden war und niemals wiederkehren würde? Sie, eine Pilgerin, so wie Wolf damals? Nein! Aber eine Suchende, ja, da hatte der ungläubige Thomas Recht. Sie suchte ihren Vater, und sie suchte die Wahrheit!
    Wirklich?, flüsterte eine Stimme in ihr. Wenn du ihn findest, bist du dann bereit, die Wahrheit zu erfahren? Oder willst du nur das hören, was du ertragen kannst?
    Juliana sah an sich hinab. Inzwischen war sie zumindest äußerlich nicht mehr von den anderen Pilgern zu unterscheiden. Sie trug Hut, Stab und Kalebasse bei sich. In ihrer Tasche steckte sogar ein offizieller Pilgerbrief, wenn auch nur deshalb, weil Bruder Rupert sie geradezu gezwungen hatte, zur Pilgermesse zu gehen, die an diesem Sonntag gefeiert wurde, und Segen und Brief des Bischofs entgegenzunehmen.
    In Freiburg war sie dem Bettelmönch zum ersten Mal begegnet, ja, war geradezu auf ihn gestoßen. Sie war in den Straßenschmutz gefallen, und er hatte ihr die Hand gereicht, um ihr aufzuhelfen. Bruder Rupert bestand darauf, seine Unaufmerksamkeit sei an dem Zusammenstoß schuld gewesen, und lud sie zu einem Kräutermet in eine der Schankstuben ein. So waren sie ins Gespräch gekommen, und er war entsetzt gewesen zu hören, dass sie als Pilger ohne Brief unterwegs war.
    »Junge, nur mit dem Brief stehst du unter dem Schutz der heiligen Kirche und bist in Herbergen und Pilgerspitälern willkommen. Sonst sieht man in dir nicht mehr als einen fahrenden Bettler, den man von seinem Hof jagt, und hetzt dir den Hund hinterher.«
    Der Bischof hatte ihre Tasche gesegnet, die, wie ihr Bruder Rupert erklärt hatte, klein und aus der Haut eines toten Tieres gefertigt sein musste und die man immer offen trug.
    »Sie ist das Sinnbild für die Freigebigkeit und die Abtötung des Fleisches. Die Enge der Tasche bedeutet, dass der Pilger nur einen bescheidenen Vorrat mit sich führt, denn er vertraut auf den Herrn. Die Haut symbolisiert, dass er seine fleischlichen Begierden durch Hunger und Durst, Kälte und Mühen abtötet.
Und die Tasche ist stets offen, weil der Pilger das Wenige, das er hat, stets mit den Armen teilt.«
    Sie hoffte, es würde ihn ärgern, dass sie zu ihrer Pilgertasche weiterhin den fest verschnürten Leinenrucksack auf dem Rücken trug. Anmerken ließ sich der düstere Mönch mit der Statur eines Kämpfers allerdings nichts. Den Pilgerstock dagegen nahm Juliana gern an,

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