Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
Vater, der nun vor dem Templer stehen bleibt. »Sucht Ihr jemanden?«, herrscht er den Gast an.
»Nein, was meint Ihr?«, wundert sich Swicker. »Bevor ich mich zur Ruhe lege, bin ich gern noch ein wenig mit Gott und meinen Gedanken allein unter seinem Sternenzelt.«
»Mit Gott?«, erwidert der Ehrenberger voller Spott. »Oder eher mit einem Weiberrock?«
Juliana presst sich mit dem Rücken an die Mauer hinter sich, als könne sie so mit der Wand verschmelzen und unsichtbar werden. Sie ahnt, dass es der Unterhaltung eine tragische Wende geben könnte, würde der Vater sie in diesem Augenblick hier draußen entdecken.
»Ihr irrt Euch«, wehrt der Tempelritter kühl ab. »Die Gedanken, die ich in mir bewege, haben nichts mit einem Weib zu tun.«
»So? Meine Augen sagen mir etwas anderes«, faucht der Ehrenberger. »Ich habe Euch den ganzen Abend beobachtet! Ich dulde es nicht, dass ein fremder Ritter mein Weib oder meine Tochter mit solchen Blicken anstiert oder sie gar in einen Stall lockt! Seid gewarnt, Ihr spielt mit Eurem Leben!«
»Ritter von Ehrenberg, so beruhigt Euch doch. Wenn ich die edle Dame oder das Fräulein während des Mahls angesehen habe, dann gänzlich ohne unkeusche Gedanken. Ich bitte Euch, glaubt mir. Ich bin nicht nur ein Ritter, ich bin ein Ordensmann, der Armut, Gehorsam und Keuschheit geschworen hat!«
»Pah, das bedeutet nichts! Egal welche Farbe die Kutte hat
oder nach welcher Regel die Mönche beten, sie scheren sich nicht um die Gebote und stürzen unschuldige Edelfräulein ins Verderben.«
Swicker schnaubt durch die Nase. »Ich sage nicht, dass es nicht in jeder Gemeinschaft schwarze Schafe und verderbte Seelen gibt, ich dulde jedoch nicht, dass Ihr gegen mich oder meine Brüder solch unangemessene Anklage erhebt!«
Die Männer stehen sich im nächtlichen Hof gegenüber und starren sich an. Juliana überlegt, ob sie unbemerkt den Palas erreichen kann. Sie schiebt sich ein wenig nach vorn. Plötzlich hat sie das Gefühl, der Tempelritter würde nicht mehr den Vater ansehen, sondern sie. Sein Blick trifft sie und lässt sie erschaudern. Nein, das ist ganz unmöglich! Selbst eine Katze würde sie in der Dunkelheit auf solch eine Entfernung nicht erspähen können. Und doch fühlt es sich so an, als gleite sein Blick langsam an ihr hinab.
»Ich werde nun mein Lager aufsuchen«, sagt Swicker unvermittelt und verbeugt sich steif vor dem noch immer erzürnten Gastgeber. »Falls Ihr Sorge tragt, ich könne die rechte Tür nicht finden, dann begleitet mich, bis Ihr Euch vergewissert habt, dass meine Ordensbrüder und ich in unseren eigenen Betten ruhen.«
Swicker schreitet direkt auf die Tür des Palas zu, der Ehrenberger folgt ihm nach kurzem Zögern. Juliana atmet auf. Eine Weile wartet sie noch, ehe sie sich in den Palas zurückschleicht, die Treppe hinauf und in ihre Kammer, wo sie die alte Kinderfrau noch angekleidet, aber tief schlafend, in einem Scherenstuhl vorfindet. Juliana zieht die Bänder ihres Gewandes auf und windet sich umständlich aus den Stoffen. Sie schleicht zum Bett, bläst das Binsenlicht aus und schlüpft, die Haare noch aufgesteckt, unter ihr warmes Federbett. Ihr ist nicht nach Gerdas Rügen. Zu viele Gedanken schwirren ihr durch den Kopf und müssen erst einmal sortiert werden.
29
Burgos
B urgos war eine große Stadt. Vor mehr als zweihundert Jahren war der Bischofssitz von Vilafranca hierher verlegt worden. Seither war die Stadt stetig gewachsen. Nun, im vereinten Königreich von León und Kastilien, war sie zum Sitz des Königs ernannt worden.
Schon vor der Stadtmauer schritten die fünf Wanderer durch eine eng bebaute Gasse, an der Handwerker ihre Buden und Werkstätten betrieben. Sie passierten Kloster und Spital des heiligen Johannes, gegenüber ragte die Kirche zu Ehren von San Lesme auf. Vor dem Spital drängten sich Pilger und Bettler, die kaum voneinander zu unterscheiden waren. Als sie näher kamen, sah Juliana, dass einer der Benediktinermönche aus einem großen Korb Brotstücke verteilte.
Sie überquerten einen Nebenarm des breiten Flusses Arlanzón, der im Süden an der Stadt vorbeifloss, und ließen sich im Pulk der vielen Menschen auf das älteste der zehn Stadttore zuschieben. Bis zur Brücke zurück stauten sich Händler mit Wagen, Bauern und Pilger, denn die Wachen hielten jeden Einzelnen an, prüften Waren, berechneten den Zoll oder ließen sich Pilgerbriefe vorzeigen. Endlich durften sie das Tor passieren. In einem weiten Bogen,
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