Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
misstrauischen Blick zu.
»Was du so immer siehst und hörst!« Der Templer bemüht
sich, belustigt zu klingen. »Man könnte meinen, du hast noch nicht gemerkt, dass wir uns nicht mehr zwischen feindlichen Linien befinden, umgeben von grimmigen Muselmanen, die nach unserem Blut gieren und danach trachten, uns den Kopf von den Schultern zu schlagen.« Nachlässig tätschelt er die Schulter des Wappners. »Beruhige dich, wir sind dieses Mal nur unterwegs, ein paar Briefe zu unseren ungarischen Komtureien zu bringen.«
Juliana kommt es vor, als unterdrücke der Tempelritter einen Seufzer. Vermisst er die Gefahr? Den blutigen Schwertkampf für Christus? Sie schüttelt ungläubig den Kopf. Männer sind seltsame Wesen.
Eine Magd kommt atemlos gelaufen, knickst vor ihrem Herrn und richtet die Worte der Edelfrau aus: Das Essen sei nun bereit, und sie bitte die Gäste an die Tafel.
»Nun, dann kommt«, fordert Kraft von Ehrenberg die Templer auf. Ehe einer der Gäste es tun kann, zieht er die Hand der Tochter in seine Armbeuge und führt das Mädchen zum hell erleuchteten Saal, aus dem es verlockend duftet.
Eigentlich sollte sie bereits in ihrer Kammer sein und sich von Gerda auskleiden lassen, doch Juliana fühlt sich noch nicht schläfrig. Ganz im Gegenteil, eine seltsame Unruhe pulsiert durch ihre Adern. Hat sie zu viel von dem unverdünnten Wein getrunken? Ja, sicher, aber das ist es nicht allein. Wie wunderbar war dieser Abend! Die Männer von ihren Erlebnissen in fremden Ländern berichten zu hören, lässt in ihr ein wenig das Gefühl aufkommen, sie selbst hätte ein Abenteuer bestanden. Wie langweilig plätschert das Leben sonst auf Ehrenberg dahin – seit Wolf nicht mehr da ist. Nein, sie will nicht an den verlorenen Freund denken und ihn wieder schmerzlich vermissen. Wenn es schon sein muss, dann will sie ihm zürnen, dass er sie hier zurückgelassen hat, um allein in die aufregende Welt hinauszuwandern.
Die einzige Abwechslung, die ihr seit Jahren bleibt, sind die lehrreichen Stunden mit Dekan von Hauenstein. Ein wenig lassen auch seine Erzählungen von Helden vergangener Zeiten ihr Herz schneller schlagen. Perceval, der auszog, den Gral zu finden, Kaiser Karl der Große, der mit seinem Heer nach Hispanien zog, um die Ungläubigen zu bekämpfen. Und natürlich sein Held, der Ritter Roland, der einen Riesen erschlug und dann in einer Schlucht der Pyrenäen den Tod fand. Und doch ist es anders, wenn der Dekan ihr diese Geschichten erzählt oder sie mit ihm die französischen Zeilen liest. Er hat die Abenteuer nicht miterlebt. Viele Jahre sind seit diesen Zeiten vergangen. Der Templer dagegen, der hier heute mit ihr an einem Tisch gesessen war, hat in Akkon gekämpft und gesehen, wie die Mauern fielen, seine Schwertklinge war vom Blut der Sarazenen gerötet. Ihr Herz schlug schneller, als sie in sein Antlitz blickte und seinen Worten lauschte. Ja, ein wenig war es, als sei sie selbst dabei gewesen. Wie sehr hofft das Mädchen, dass er noch ein paar Tage bleibt. Der Franzose und der kahle Wappner sind ihr einerlei, aber der große, kräftige Vetter der Mutter mit seinem sandfarbenen Haar und den blauen Augen, die so ernst, ja, vielleicht sogar ein wenig schwermütig dreinschauen, geht ihr nicht aus dem Sinn. Der Fall von Akkon ist Jahre her. Was mag er seit dieser Zeit noch alles erlebt haben? Wie viele Tage bleiben ihr, seinen Worten zu lauschen, bis er mit den beiden Brüdern weiter nach Osten reist? Juliana hofft, dass er auf seinem Rückweg aus Ungarn wieder nach Ehrenberg kommen möge. Mit einem Seufzer lässt sie sich auf einen Steinquader sinken und betrachtet den Sternenhimmel, der sich klar und schimmernd über ihr wölbt. Swicker von Gemmingen-Streichenberg hat vielleicht kein so einnehmendes Antlitz wie Carl von Weinsberg, aber gerade weil er fast ein Dutzend Jahre älter ist als dieser und sich die Zeit in seine Züge einzugraben beginnt, zieht er das Mädchen, das in ihrem Leben bisher nur Wimpfen und ein paar Burgen am Neckar gesehen hat, auf geradezu magische Weise an. Juliana blickt in den nachtschwarzen
Himmel, aber sie sieht sein Gesicht und hört seine Stimme.
»Eine herrliche Nacht!«
Juliana fährt erschreckt auf. Das ist wirklich seine Stimme! Wo ist er? Sie kann ihn nicht sehen. Hat er zu ihr gesprochen? Nein, dort drüben nähert sich der weiße Mantel einer zweiten Gestalt.
»Hm, ja. Was tut Ihr so spät noch hier draußen?« Juliana erkennt die ungeduldige Stimme. Es ist der
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