Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
nach. Selbst das Wort an die beiden Tempelritter zu richten, traut sich Juliana nicht. Sie weiß, wie streng des Vaters Ansichten über das gute Benehmen eines Edelfräuleins sind, und sie will nicht riskieren, beim bevorstehenden Besuch der Templer in die Kemenate verbannt zu werden. Sicher wird sich eine Gelegenheit ergeben, den Rittern ein paar aufregende Geschichten zu entlocken! Und vielleicht erzählen sie dann ja auch von ihrer Mission, die sie so weit von ihrer neuen Heimat entfernt. Kastilien? Ist das nicht eines der Königreiche jenseits der Pyrenäen im fernen Hispanien? Wolfs Gesicht taucht vor ihr auf, wie er von Galicien spricht, von León und Kastilien, wie die Pilger es ihm berichtet haben. Sie fühlt einen Stich in ihrem Herzen. Anscheinend war es für den Templer Swicker eine leichte Aufgabe, von dort bis zum Neckar zu reiten. Ihr geliebter Freund dagegen hat den Weg bis heute nicht zurückgefunden.
Juliana spürt einen Blick auf sich ruhen und hebt den Kopf. Es sind die blauen Augen des Tempelritters Swicker. Der Vater ist mit dem Franzosen und dem Dekan im Gespräch über die unterschiedlichen Absichten des Königs und des Papstes vertieft, Swicker jedoch schweigt und betrachtet das Mädchen.
»Ich würde einen Grosso für Eure Gedanken geben«, sagt er leise.
Juliana errötet. »So wichtig waren sie nicht. Ihr würdet Euer Geld verschwenden. Ich dachte nur daran, wie weit Kastilien entfernt ist. Es kommt mir vor, als liege es am Ende der Welt.«
»Es liegt fast am Ende der Welt«, bestätigt er schlicht. »Nur
ein paar Tagesreisen weiter in Galicien findet Ihr finis terrae 26 , das Ende der Welt.«
Juliana nickt. So viele Erinnerungen steigen in ihr hoch, und es kommt ihr vor, als würde sie Wolfs Stimme hören. Der Dekan nimmt die Aufmerksamkeit des Templers in Anspruch und beendet den seltsamen Augenblick der Zweisamkeit. Doch als der Abend vorangeschritten ist und sich die Gäste erheben, um sich zu verabschieden, tritt Swicker ganz nah zu ihr und raunt ihr leise zu: »Ich war dort, am Ende der Welt. Wer es einmal gesehen hat, der kann diesen Anblick nicht wieder vergessen, und er bleibt unser Leben lang tief in unsere Seele eingegraben.« Der Blick aus seinen blauen Augen lässt sie rasch die Lider senken. Er kramt in seiner Gürteltasche, dann ergreift er ihre Hand.
»Das ist für Euch, Jungfrau von Ehrenberg. Ich habe es selbst von finis terrae mitgebracht.« Sie spürt die Wärme seiner Fingerspitzen in ihrer Handfläche, dann schließt er ihre Finger behutsam über einem kleinen Gegenstand.
»Dann hoffe ich, Euch morgen auf Ehrenberg zu sehen«, verabschiedet sich Templer Swicker und verbeugt sich. Juliana sieht sich rasch nach dem Vater um. Er bedankt sich gerade bei Dekan von Hauenstein und wendet sich nun zu seiner Tochter um. Seine entspannte Miene zeigt ihr, dass er die ungehörige Szene nicht beobachtet hat. Juliana verbirgt das Kleinod in ihrem kleinen Samtbeutel.
Es hat nichts zu bedeuten, sagt sie sich, als sie zwischen dem Vater und den beiden Waffenknechten nach Ehrenberg zurückreitet. Er ist ein Tempelritter, der sein Leben dem Kampf für den Glauben geweiht hat, und dennoch schlägt ihr Herz bei dem Gedanken, ihn wiederzusehen, ein wenig schneller.
Endlich auf der Burg angekommen, zieht sich Juliana in ihre Kammer zurück und zündet eine Öllampe an. Vorsichtig nimmt sie den kleinen Gegenstand aus ihrem Beutel. Es ist eine Muschelschale, die das Meer im fernen Galicien ans Ufer geworfen
hat, wo der Tempelritter sie fand und sie in seine Tasche steckte. Juliana dreht sie im Lichtschein in ihren Händen und betrachtet das Farbenspiel.
Schwerfällige Schritte nähern sich der Kammer. Das kann nur die Kinderfrau Gerda sein. Rasch zieht Juliana eine kleine Holzschachtel aus einem Versteck und legt die Muschelschale zu den anderen Schätzen, die sie hier drinnen aufbewahrt.
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Cebrero 27
J uliana erwachte, als Bruder Rupert die Kammer verließ. Es konnte noch nicht Morgen sein. Rasch schlüpfte sie unter der Decke hervor und lugte durch den Türspalt. Er verschwand in Richtung Hof. Sie wartete einen Augenblick und huschte ihm dann hinterher. Der Burghof lag ruhig im Sternenschein. Wo war der Bettelmönch hingegangen? Drüben in der Küche brannte Licht. Juliana schlich an der Mauer entlang und spähte durch das schmale Fenster. Sie konnte niemanden sehen, aber seine Stimme erkannte sie sofort. Er sprach lateinisch, ein Fremder antwortete.
»Ja, ich kenne das
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