Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
hellen Augenbrauen wanderten nach oben. »Nur Johannes? Nichts weiter?«
»Johannes aus Franken«, fügte sie schwach hinzu.
»Du bist doch nicht etwa deinem Herrn entlaufen, Bursche?«, fragte er und schien amüsiert.
»Nein«, protestierte das Ritterfräulein und wurde rot. »Meine Familie ist frei und ehrenhaft!«
Er lachte auf und widmete sich dann wieder seinem Wein. »Willst du auch Wein?«, fragte er nach einer Weile. »Ich meine richtigen Wein. Nicht das verdünnte Zeug, das die Pilger normalerweise bekommen.«
Juliana nickte, obwohl etwas in ihr sie zur Vorsicht mahnte. Sie sah dem Ritter hinterher, wie er den Saal verließ. Kraftvolle Beine hatte er, und die Stiefel, die er trug, waren von vorzüglicher Qualität. Was um alles in der Welt hatte er hier zwischen den Pilgern verloren? Und warum besorgte er Wein für einen armseligen, schmutzigen Burschen aus Franken? Das ungute Gefühl wurde stärker. Sie sollte aufstehen und sich in den Schlafsaal zurückziehen, doch noch ehe sie sich entschieden hatte, kam Raymond de Crest zurück, einen zweiten Becher und einen Krug in den Händen. Er setzte sich wieder auf seinen Platz und goss dem Mädchen ein.
»Sieh nur, wie samtig rot er ist, so muss Wein sein.«
Juliana nahm den Becher entgegen und nippte an ihm. Der Wein war schwer und süß und schmeckte nach den Festen, die sie auf Ehrenberg erlebt hatte oder nach dem großen Hofball in
der Pfalz vom vergangenen Jahr. Das Mädchen schluckte. War das Heimweh, was ihr plötzlich Tränen in die Augen zu treiben drohte? Sie senkte das Gesicht tief über den Becher, denn sie spürte den musternden Blick des Fremden.
»Der Wein ist sehr gut, ich danke Euch«, sagte sie, als sie sich sicher war, dass sie ihre Stimme wieder im Griff hatte. Er sah sie nur aufmerksam an.
»Reist du allein?«, fragt er schließlich. Das Ritterfräulein schüttelte den Kopf.
»Wo sind deine Begleiter? Es sind sicher nicht die dort drüben, sonst würdest du ihre Tafel teilen, statt hier allein deine Suppe zu löffeln.«
Warum fragte er? War das nur das normale Interesse eines Pilgers am anderen? Warum nur war sie so misstrauisch und feindselig gegen jeden Fremden, der sie ansprach?
»André – ich meine Ritter André de Gy aus der Freigrafschaft Burgund – hat sich schon auf sein Lager zurückgezogen. Er hat sich heute einen Dorn eingetreten, den Bruder Marcelo ihm vorhin herausgeschnitten hat. Und dann reist noch Bruder Rupert mit uns. Er ist …« Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie gar nichts über ihn wusste, obwohl sie schon so viele Tage an seiner Seite wanderte. Vermied er bewusst, etwas von sich preiszugeben? Warum? »Er ist ein Bettelmönch«, fügte sie vage hinzu.
»Ein Landsmann?«, erkundigte sich der blonde Ritter.
»Ja, ich denke. So wie er spricht.«
»Ein alter Mönch, wie so viele hier auf dem Weg«, sagte Ritter Raymond und warf ihr einen kurzen Blick zu.
Juliana lachte. »Das würde er sicher nicht gern hören. Ich denke, er ist um die vierzig. Er könnte mein Vater sein.« In ihren Ohren klang die Wehmut nur zu deutlich. »Und außerdem sieht er kein bisschen wie die Bettelmönche aus, denen wir so häufig begegnet sind. Sie sind schwächlich und dürr, Bruder Rupert macht mir dagegen den Eindruck, als könne er es im Ringkampf mit manchem jungen Ritter aufnehmen.«
Interesse glomm in den blauen Augen ihres Gegenübers. »Das hört sich an, als hättest du einen interessanten Reisebegleiter gefunden.«
»Ja, schon, aber ich mag ihn nicht sehr«, rutschte es dem Mädchen heraus, bevor sie recht nachgedacht hatte. Warum redete sie so offen mit ihm? Nur weil er ein großer Ritter war, dessen Aussehen sie blendete?
Er erinnerte sie ein wenig an Carl von Weinsberg. Ein warmes Gefühl durchflutete sie. Carl. Wenn doch er nach Ehrenberg gekommen wäre, statt dieses grässlichen Wilhelm von Kochendorf. Aber die Weinsberger waren vermutlich nicht sehr auf eine Verbindung zwischen ihrem und dem Hause Ehrenberg erpicht. Vor allem jetzt nicht mehr! Sie wollten höher hinaus. Obwohl Julianas Familie einen alten Namen mitbrachte und die Mutter eine von Gemmingen war! Nein, schämen musste sie sich der Herkunft ihrer Familie nicht. Deshalb drängte der Kochendorfer ja auch so, sie mit seinem Sohn zu verbinden. Er wollte nicht nur Ehrenberg und den Titel, den sie selbst nicht erben konnte, nein, vor allem das Amt des Burgvogts auf der Pfalz schwebte ihm vor, und er war bereit, danach zu greifen, jetzt, da das
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