Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
dann hierher verschlagen?«, wollte Juliana wissen.
»Der Wind hat ein Gerüst umgeworfen«, seufzte er. »Lange hat der Bader versucht, das Bein zu retten, aber es faulte, und
schließlich musste er es mir abnehmen. Was sollen sie auf der Baustelle einer Kathedrale mit einem einbeinigen Steinmetz mit steifen Fingern anfangen? Ich hatte gehört, dass sie die Kathedrale von Pampalona ausbessern, und gehofft, dass sie mich vielleicht für die kleinen Reparaturen nähmen. Weißt du, für Figuren, die bei den Kämpfen beschädigt worden sind, aber ich bin nur bis La Puent de la Reyna gekommen. Ich bin einfach zu alt und zu schwach, um zu arbeiten. Daher habe ich beschlossen, mein Quartier neben diesem schönen Portal aufzuschlagen und mit den Pilgern zu plaudern, die hier jeden Tag vorbeiziehen.« Auf dem Turm begann eine Glocke zu läuten.
»Bleibst du diese Nacht in der Stadt?«, fragte der Bettler.
»Nein, ich habe bei den Templern Quartier genommen.«
»Dann solltest du dich beeilen. Beim letzten Glockenschlag werden die Tore geschlossen.«
Jetzt erst fiel es dem Mädchen auf, dass die Dämmerung sich auf die Gasse herabgesenkt hatte. Sie verabschiedete sich hastig und lief dann die Rúa de los Romeus zurück.
»Ich heiße Sebastian«, rief der Bettler ihr nach. »Sehe ich dich morgen?«
Juliana drehte sich noch einmal um und hob die Hand, doch sie konnte ihn in den tiefer werdenden Schatten nicht mehr ausmachen.
Gerade noch rechtzeitig schlüpfte sie durch das Tor und eilte zur Templersiedlung zurück.
Im Refektorium der Pilger war es stickig und roch nach Zwiebeln und Lauch. Der Rauch der Fackeln an den Wänden zog in dicken Schwaden zur gewölbten Decke empor. Die meisten hatten anscheinend schon gegessen. Nur noch ein paar Nachzügler saßen am hinteren Tisch. Weder André noch Bruder Rupert waren zu sehen. Erleichtert ließ sich das Ritterfräulein vorn an der Tür auf eine leere Bank sinken. Hier war die Luft
besser, außerdem war ihr nicht nach einer Unterhaltung mit den anderen zumute. Es dauerte nicht lange, da kam Bruder Marcelo mit einer großen, dampfenden Schüssel herein. Es roch noch stärker nach Zwiebeln. Juliana holte sich eine Tonschale aus der Truhe und ließ sie sich mit Suppe füllen.
»Brot gibt es dort hinten«, sagte der Servient und zeigte auf den Tisch, an dem die anderen saßen. Das Mädchen zögerte, stand aber dann doch auf, um sich zwei Stücke aus dem Korb zu nehmen. Sie war zu hungrig, um auf das Brot zu verzichten. Die Suppe schmeckte erstaunlich kräftig, nach Kräutern und nach dem geräucherten Speck, der in ordentlichen Stücken zwischen dem Gemüse schwamm, und auch das Brot war frisch. Solch gutes Essen war in Quartieren, in denen man nichts bezahlen musste, selten. Ja, selbst die Pilgerherbergen, die den Reisenden ihre Münzen abforderten, verpflegten sie häufig schlechter, und die Betten waren voller Flöhe und Wanzen. Vielleicht sollte sie eine Münze in den Korb legen, den der Portner zu diesem Zweck neben sich stehen hatte? Sie legte die Hand an ihren Beutel, dessen Inhalt schon beträchtlich zur Neige gegangen war. Wie sollte sie mit dem wenigen bis Santiago kommen? An die Rückreise wollte sie erst gar nicht denken.
Ein Schatten fiel über den Tisch. Das Mädchen sah auf. Ein Mann war eingetreten: Er war groß und wirkte kämpferisch, sein honigfarbenes Haar fiel ihm bis auf die Schulter, Wangen und Kinn waren glatt rasiert. Normalerweise war seine Haut sicher hell, nun jedoch hatte die Sonne sie gerötet. Er mochte vielleicht um die dreißig sein. Die blauen Augen wanderten durch den Raum und kehrten dann zu der Gestalt zurück, die vor ihm am Tisch saß.
»Ist es erlaubt, sich zu dir zu setzen?«, fragte er auf Französisch. Juliana nickte nur stumm. Sie versuchte, ihren Blick von ihm zu wenden, doch fast gegen ihren Willen kehrte er zu dieser ritterlichen Gestalt zurück, die so unerwartet hier aufgetaucht war. Er stellte den Becher Wein, den er in der Hand hielt,
auf den Tisch und setzte sich ihr gegenüber. Juliana aß die letzten Reste ihrer Suppe und verstaute dann den Löffel wieder in ihrer Tasche. Zaghaft hob sie die Lider. Er trug ein Kettenhemd unter seinem schwarzen Mantel. Ein Schwert hing an seiner Seite. Sicher war er ein Ritter. Allein seine gerade Haltung sprach dafür, dass er von Adel war.
»Ritter Raymond de Crest aus der Dauphiné«, stellte er sich vor. »Und wie heißt du?«
»Johannes«, stotterte das Mädchen.
Seine schmalen,
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