Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
gesehen haben, die ein totes Pferd häuteten. Sie betonten, das Wasser sei gut, aber als der Schreiber der Zeilen sein Pferd tränkte, starb es in nur wenigen Augenblicken. Die Navarresen hoben die Messer und stürzten sich auf den Kadaver.«
»Und Ihr glaubt, so hat sich das alles zugetragen?« Der Bettelmönch zog zweifelnd die dunklen Augenbrauen zusammen. »Ich habe von diesem Pilgerführer gehört, aber es kommt mir vor, als wäre der Schreiber kein Freund Navarras gewesen.« Er rieb sich mit seinem Umhang trocken und schlüpfte dann in Hemd und Kutte. »Jedenfalls konnte ich nichts Ungutes an dem Wasser hier feststellen.«
Nun kamen auch André und der Ritter Raymond aus dem Wasser und zogen sich an. Erfrischt machten sie sich wieder auf den Weg.
Juliana ging einige Schritte hinter den anderen. Sie wollte Abstand halten, bis sich der Aufruhr in ihrem Gemüt gelegt hatte. Wie konnten ein paar badende Männer sie in diesem Maße verunsichern? War sie nicht seit Wochen fast ausschließlich in der Gesellschaft von Männern unterwegs? Kam es nicht beinahe täglich vor, dass sie in einer der Herbergen oder einem der Spitäler einen entblößten Körper sah? Was war es dann, das solch heftige Gefühle in ihr auslöste?
Sie erlebte noch einmal den Moment, in dem der Bettelbruder ihre Hände ergriff, um sie hochzuziehen, und schauderte. War das Abscheu oder Furcht? Oder beides? Warum? Trotz der Narben an Hals und Schenkel war sein Körper nicht abstoßend anzusehen – wenn man sich erst einmal an den Anblick dessen gewöhnt hatte, das den Männerschoß von dem der Frauen unterschied. Sein Blick hatte sie irritiert! Da war etwas Abschätzendes in ihm gewesen, etwas Lauerndes, das diese Furcht in ihr ausgelöst hatte. Es war ihr plötzlich so, als sei sie nackt, nicht er, und als könne er noch durch ihre Haut hindurchsehen. Wann hatte sie sich jemals so hilflos und so verletzlich gefühlt?
Die Erinnerung traf sie so heftig, dass sie leise aufstöhnte. Plötzlich war sie nicht mehr im fernen Hispanien, nicht mehr auf dem Pilgerpfad unterwegs. Sie war zurück am Ufer des Neckars mit seinen trutzigen Burgen, die über den grünen Talhängen aufragen. Es war Nacht. Sie trug nur ein dünnes Hemd, und zwei Männer starrten auf sie herab.
14
Die Schande der Ehrenberger
Burg Ehrenberg im Jahre des Herrn 1307
D ie beiden Männer stehen vor ihr, ein paar Treppenstufen tiefer, der Wappner hält die Fackel. Jean de Folliaco umklammert etwas, das wie ein Stück einer Rüstung aussieht. Beide stehen sie reglos da und starren auf das Mädchen in seinem weißen Hemd, das auf der Treppe im Turm kauert und schreit, als würde man sie mit glühenden Eisen martern.
»Schweig, oder muss ich nachhelfen?« Bruder Humberts Hand schnellt nach vorn und presst sich auf den weit geöffneten Mund. Die andere hat das Genick schon fast erreicht, als der Franzose ihm in den Arm fällt.
»Wir sind hier nicht im Krieg bei den Sarazenen«, herrscht er den Bruder an. »Lass sie los!«
Widerstrebend gehorcht der Wappner und verzieht gequält das Gesicht, als der schrille Schrei von den Wänden widerhallt. Er steigt hinauf in die Höhe bis zur Kammer des Türmers, durch die Falltür und auf die Plattform.
»Seid doch ruhig!«, beschwört sie der Franzose. »Was ist denn? Wir tun Euch doch nichts. Es ist alles gut. Ihr habt Euch nur erschreckt.«
Julianas Magen krampft sich zusammen, und sie übergibt sich auf den Saum des dunklen Umhangs von Jean de Folliaco.
Warum trägt er nicht seinen weißen Mantel?, schießt es durch ihren Sinn, und sie hört auf zu schreien.
Der Tempelritter weicht schimpfend zurück und verliert beinahe das Gleichgewicht. Er rudert mit den Armen und wäre sicher gefallen, hätte der Wappner ihn nicht am Oberarm gepackt. Das Metallstück entgleitet seiner Faust und hüpft scheppernd die Steinstufen hinab.
»Was ist denn dort unten los?«, schallt die Stimme des Türmers den Treppenschacht hinunter. Seine Stiefel poltern im Rund. Immer an der Wand entlang kommen sie rasch näher. Die Männer werfen sich gequälte Blicke zu.
»Nun, dann müssen wir die Sache jetzt eben klären«, sagt der Franzose ruhig, greift nach den Händen des Mädchens und zieht es hoch. »Hol den Panzerstiefel mit dem Sporn hoch«, befiehlt er dem dienenden Bruder, während er das Edelfräulein die Stufen bis zum Eingangsgewölbe hinaufdirigiert.
Am Eingangstor treffen sie auf den neuen Türmer Willfried, einen jungen Mann, der Samuel
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