Das Sigma-Protokoll
heißt, sie wollen nicht, dass man sie verantwortlich macht.«
»Natürlich nicht. Viel zu heikel, als dass Israel bei dem derzeitigen politischen Klima damit in Verbindung gebracht werden möchte.«
»Wer sind dann die Auftraggeber?«
Yossi warf Ostrow einen kurzen Blick zu, schaute dann wieder zu Anna und zuckte mit den Schultern.
»Also nicht für den Mossad, oder?«
»Mordaufträge an den Mossad durchlaufen einen Dienstweg. Die Exekutionsliste muss vom Premierminister abgezeichnet werden. Und zwar jeder einzelne Name, sonst darf man die Exekution nicht ausführen. Bei Mossad und Shin Bet sind schon Leute entlassen worden, weil sie gegen diese Vorschrift verstoßen haben. Und diese Morde sind sicher nicht von oben autorisiert.«
»Und? Wer ist jetzt der Auftraggeber?«
Wieder schaute Yossi zu Ostrow, doch diesmal war es kein fragender Blick.
»Eins muss klar sein, Agent Navarro«, sagte Ostrow. »Ich habe nichts gesagt.«
Anna bekam eine Gänsehaut.
»Die CIA würde sich die Hände niemals selbst schmutzig machen«, sagte Ostrow. »Nicht mehr. In den guten alten Tagen, da haben wir irgendeinen Diktator aus dem Amtssessel gesprengt, wenn er uns nur schief angeschaut hat. Heutzutage gibt’s Direktiven vom Präsidenten und Aufsichtsgremien im Kongress und CIA-Direktoren, die sich vor lauter Vorsicht in die Hose machen. Scheiße, man frittiert uns schon die Eier, wenn wir einen Ausländer nur anhusten.«
Es klopfte. Ein junger Mann steckte den Kopf zur Tür herein. »Langley auf drei, Phil.«
»Sag ihnen, ich bin noch nicht so weit.« Die Tür schloss sich wieder, und Ostrow verdrehte die Augen.
»Hab ich das richtig verstanden?«, sagte Anna zu Ostrow. »Die CIA hat Informationen an >Freie< weitergegeben, die auch für den Mossad arbeiten?«
»Irgendwer hat’s getan. Mehr weiß ich nicht. Es geht das Gerücht, dass Ben Hartman als Mittelsmann agiert hat.«
»Haben Sie stichhaltige Beweise dafür?«
»Yossi hat mir ein paar aufschlussreiche Einzelheiten erzählt«, sagte Ostrow ruhig. »Von toten Briefkästen, Standardtreffs etc. Genug, um sicher zu sein, dass die CIA ihre Hand im Spiel hatte.«
Anna konnte zwei und zwei zusammenzählen: Yossi war ein amerikanischer Agent, den die CIA beim Mossad eingeschleust hatte. Sie dachte kurz daran, ihn direkt danach zu fragen, ließ es dann aber. Das wäre ein Verstoß gegen die Etikette gewesen. »Wer in Langley?«, fragte Anna.
»Wie gesagt, ich weiß es nicht.«
»Wissen Sie es nicht, oder wollen Sie es mir nicht sagen?«
Yossi, der den Hahnenkampf interessiert verfolgte, musste zum ersten Mal lächeln. Es war ein strahlendes Lächeln.
»Sie kennen mich nicht, Agent Navarro«, sagte Ostrow. »Sonst
wüssten Sie, dass ich ein leidenschaftlicher Verfechter der Spielregeln unseres Berufs bin. Ich würde Ihnen den Namen nennen, aber ich darf nicht.«
Das nahm Anna ihm ab. Es war die logische Antwort für einen CIA-Nahkämpfer wie Ostrow. Aber sie wollte ihm nicht zeigen, dass sie ihm glaubte. »Wo liegt das Motiv? Haben Sie irgendwelche Fanatiker in Ihrem Laden?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, dass sich bei uns keiner für irgendwas besonders interessiert - außer für die Urlaubspläne.«
»Also warum? Wo liegt das Motiv?«
»Meine Vermutung ist folgende«, sagte Ostrow, nahm die Brille ab und putzte mit einem Taschentuch die Gläser. »Sie haben da eine Liste mit Gaunern und Großkapitalisten. Kleine Fische und wirklich große Tiere. Die einen machen die Drecksarbeit für die andern. Wenn Sie ein bisschen in den Nachkriegskellern von CIA und Nazis rumschnüffeln, dann stolpern Sie über jede Menge Leichen. Meine Theorie ist, dass eine hochstehende Persönlichkeit - und damit meine ich ein wirklich großes Tier - die Gefahr voraussieht, dass da plötzlich ein paar Namen aus den alten Tagen an die Öffentlichkeit gezerrt werden.«
»Und das heißt?«
Ostrow setzte sich die Brille wieder auf. »Namen von alten Männern, die früher mal auf unserer Lohnliste gestanden haben. Männer, die fast alle im Nebel der Geschichte abgetaucht sind. Und plötzlich kommt da eine Liste zum Vorschein. Und raten Sie mal, was passiert? Die Namen von ein paar unserer Altvorderen, die die Scheiße damals mit angerührt und unterstützt haben, werden ebenfalls bekannt. Und damit vielleicht die eine oder andere finanzielle Trickserei. Die alten Sabberer werden höllisch nervös und werfen sofort ihre Hilfstruppen ins Gefecht. Und wen heuert man da am besten
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