Das Sigma-Protokoll
umgebracht hat. Und ich will wissen, wer die alten Männer um die Ecke bringt.«
Spielt sie mit offenen Karten?, fragte er sich. Oder war das ein Trick? Was wollte sie wirklich?
»Sie glauben, dass die, die meinen Bruder und die Männer auf Ihrer Liste ermordet haben, die gleichen sind?«
»Ja, das glaube ich. Das gehört alles zu einem großen Mosaik.«
»Was springt für mich dabei heraus?« Sein dreister Gesichtsausdruck wurde durch die Andeutung eines Lächelns etwas abgemildert.
»Offiziell gar nichts. Damit das klar ist. Vielleicht ein wenig Schutz. Lassen Sie es mich so ausdrücken: Ein paar Anschläge haben Sie überstanden, aber wer weiß, wie lange das Glück Ihnen noch hold ist?«
»Und wenn ich mich an Sie halte, dann passiert mir nichts?«
»Zumindest haben Sie bessere Karten. Wissen Sie was Gescheiteres? Immerhin sind Sie in mein Hotel gekommen. Und Ihre Waffe, die hat ja wohl die Wiener Polizei, oder?«
Wie wahr. »Ich hoffe, Sie nehmen mir mein Zögern nicht übel. Ist noch gar nicht so lange her, dass Sie mich einbuchten lassen wollten.«
»Es steht Ihnen frei, in Ihr Hotel zurückzugehen. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Nachtruhe.«
»Touche. Ihr Angebot ist tatsächlich großzügig. Wäre vielleicht wirklich dumm, es abzulehnen. Trotzdem...«
»Schlafen Sie drüber.«
»Apropos schlafen...«
Sie schaute sich im Zimmer um. »Tja...«
»Ich ruf in der Rezeption an und lass mir ein Zimmer geben.«
»Das wird wohl nichts werden. Die sind ausgebucht, irgendein Kongress. Ich hab gerade noch eins erwischt. Wenn Sie wollen, können Sie die Couch haben.«
Er warf ihr einen kurzen Blick zu. Hatte die förmliche Anna Navarro, Special Agent des US-Justizministeriums, ihm eben angeboten, die Nacht mit ihm zu verbringen? Nein, natürlich nicht. Er machte sich etwas vor. Ihre Körpersprache, die nonverbalen Signale waren eindeutig: Sie bot ihm nur ein Versteck an, nicht ihr Bett.
»Danke«, sagte er.
»Schätze, die Couch ist etwas kurz. Tut mir Leid.«
»Kein Problem. Hab schon auf wesentlich unangenehmerem Untergrund geschlafen.«
Sie stand auf und holte ihm eine Decke aus dem Schrank. »Der Zimmerservice bringt Ihnen sicher eine Zahnbürste. Ihr Gepäck holen wir dann morgen früh aus dem Hotel.«
»Ich lass mich da besser nicht mehr blicken.«
»Tja, das wäre wirklich keine gute Idee. Ich werde mich darum kümmern.« Plötzlich störte es sie, dass er so dicht vor ihr stand. Verlegen trat sie einen Schritt zurück. »Schön, ich werde mich dann hinlegen.«
Plötzlich fiel ihm ein, was ihm schon seit seinem Besuch bei Lenz vage im Kopf herumgegangen war. »Jakob Sonnenfeld, der Nazijäger, der lebt doch in Wien, oder?«
Sie drehte sich um. »Glaube schon, ja.«
»Neulich hab ich irgendwo gelesen, dass er zwar steinalt ist, aber sein Verstand immer noch messerscharf arbeitet. Außerdem soll er umfangreiches Aktenmaterial haben. Ich frage mich, ob er...«
»... sich mit Ihnen trifft?«
»Einen Versuch ist es wert.«
»Aber passen Sie auf, dass Ihnen keiner folgt. Wegen Sonnenfeld. Könnte gefährlich für ihn werden.«
»Wenn ich Sie und Ihre Ratschläge nicht hätte.«
Während sie sich im Bett noch einen Aktenordner vornahm, rief Ben per Handy in Bedford an.
Mrs. Walsh hatte sich immer noch nicht beruhigt. »Nichts, Benjamin, kein Wort. Er ist wie vom Erdboden verschluckt. Ich hab die Polizei alarmiert. Ich weiß nicht, was ich noch tun soll.«
Ben spürte einen dumpfen Kopfschmerz. Die Anspannung, die kurzzeitig nachgelassen hatte, meldete sich zurück. Mit ein paar beruhigenden Floskeln beendete er das Gespräch, zog seine Jacke aus und hängte sie über die Lehne des Schreibtischstuhls. Hose und Hemd behielt er an. Dann schlüpfte er unter die Decke.
Was hatte das zu bedeuten? Sein Vater machte sich, ohne ein Wort zu hinterlassen, aus dem Staub. Er war offenbar freiwillig in den Wagen gestiegen; es war also keine Entführung. Vermutlich wusste er, wohin er wollte.
Wohin?
Ben wälzte sich hin und her. Die Couch war zu kurz, sie hatte
Recht gehabt. Sie saß im Bett und las im Schein der Nachttischlampe. Ben sah ihre sanften braunen Augen.
»Ging’s bei dem Gespräch um Ihren Vater?«, fragte sie. »Entschuldigung, dass ich mitgehört habe, aber...«
»Macht nichts. Ja, er ist vor ein paar Tagen spurlos verschwunden. Hat sich in seinem Wagen zum Flughafen fahren lassen und seitdem nicht mehr gemeldet.«
Sie ließ den Ordner sinken und setzte sich auf. »Vielleicht
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