Das Sigma-Protokoll
ist er entführt worden. Wenn ja, dann ist das Bundessache. FBI.«
Er schluckte. Sein Mund war trocken. Ob man ihn doch entführt hatte?
»Was genau ist passiert?«, fragte sie.
Ein paar Stunden später weckte sie das Klingeln des Telefons.
Anna hob ab. »Ja?«
»Spreche ich mit Anna Navarro?«
»Ja. Und wer sind Sie?«
»Mein Name ist Phil Ostrow, amerikanischer Botschaftsangestellter hier in Wien. Ich hoffe, ich habe Sie nicht geweckt.« Akzent aus dem Mittelwesten. Chicago.
»Ich hätte sowieso aufstehen müssen... wegen des Telefons«, konterte sie trocken. »Was kann ich für Sie tun?« Warum rief dieser Botschaftstrottel um Mitternacht an?
»Nun ja, ich rufe auf Anraten von Jack Hampton an.« Er machte eine Pause und ließ den Namen wirken.
Hampton war Einsatzleiter bei der CIA. Er hatte Anna bei einem früheren Job mehr als einmal zur Seite gestanden. Ein guter Mann und so ehrlich, wie man in einem falschen Gewerbe wie diesem nur sein konnte. Anna fielen Bartletts Worte ein vom »krummen Holz, aus dem der Mensch gemacht ist«. Hampton war anders.
»Ich habe ein paar Informationen über den Fall, an dem Sie gerade arbeiten.«
»Was ist Ihre... Wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«
»Mir wäre es lieber, wenn wir darüber am Telefon nicht sprechen würden. Ich bin ein Kollege von Jack.«
Also CIA. Daher die Verbindung zu Hampton.
»Welche Informationen haben Sie? Oder ist das auch nichts fürs Telefon?«
»Sagen wir einfach, es ist wichtig. Könnten Sie morgen früh gleich als Erstes bei mir im Büro vorbeischauen? Sagen wir um sieben. Oder ist das zu früh?« Was konnte so dringend sein?, fragte sie sich.
»Seid wohl alle Frühaufsteher? Okay, um sieben.«
»Also, bis morgen dann. Kennen Sie den Weg?«
»Zur Botschaft?«
»Das Gebäude gegenüber vom Konsulat.«
Nachdem er ihr erklärt hatte, wo genau sich sein Büro befand, legte sie auf.
»Alles in Ordnung?«, fragte Ben.
»Ja«, sagte sie unsicher. »Alles okay.«
»Wir sollten morgen das Hotel wechseln. Ist sicherer.«
»Ja«, entgegnete sie abwesend.
»Was ist los, Agent Navarro? Nervös?«
»Ich bin immer nervös«, sagte sie. »Mein ganzes Leben ist Nervosität. Und sagen Sie Anna zu mir.«
»Ich bin eigentlich nie nervös«, erklärte er. »Schlafen Sie gut.«
28. KAPITEL
Wien
Ben wurde vom Geräusch eines Föhns geweckt. Er brauchte ein paar Sekunden, bis er realisierte, dass er sich in einem Wiener Hotelzimmer befand und dass ihm der Rücken wehtat, weil er die Nacht auf einer Couch verbracht hatte.
Vorsichtig hob er den Kopf und dehnte seinen Hals. Als er das angenehme Knacken der Halswirbel hörte, fühlte er sich augenblicklich besser.
Die Badtür öffnete sich, und ein breiter Lichtstreifen fiel ins Zimmer. Anna Navarro hatte Make-up aufgelegt und trug ein braunes Tweedkostüm - nicht gerade der letzte Schrei, aber ganz adrett.
»Ich bin in etwa einer Stunde zurück«, sagte sie. »Sie können sich ruhig noch mal umdrehen.«
Gegenüber dem Konsulatsbau der US-Botschaft befand sich, wie von Ostrow beschrieben, ein trister moderner Büroklotz. Auf der Hinweistafel in der Lobby waren hauptsächlich amerikanische und österreichische Firmen verzeichnet. Die Handelsvertretung der Vereinigten Staaten von Amerika - die Tarnung für das Wiener CIA-Büro - lag im elften Stock. Wenn Anna Untersuchungen bei Regierungsbehörden durchführte, streckten eben jene Behörden oft ihre Fühler aus. Das war nichts Ungewöhnliches. Daraus hatten sich manchmal brauchbare Spuren ergeben.
Anna betrat das unscheinbare Empfangszimmer. An der Wand hing das Wappen der Vereinigten Staaten. Eine junge Frau saß telefonierend hinter einem typischen Behördenschreibtisch und bearbeitete gleichzeitig eine Computertastatur. Sie sah nicht mal
auf. Anna stellte sich vor, worauf die Empfangsdame auf einen Knopf drückte und ihre Ankunft meldete.
Keine Minute später huschte die Karikatur eines Beamten auf Lebenszeit durch die Tür. Blässliches, ausgemergeltes Pickelgesicht; braunes, langsam ergrauendes Haar; kleine, graue Augen hinter großer Nickelbrille.
»Miss Navarro?«, sagte er und streckte ihr die Hand entgegen. »Ich bin Phil Ostrow.«
Er führte sie in ein kleines Konferenzzimmer, wo ein schlanker attraktiver Mann mit dunkler Hautfarbe auf sie wartete. Er saß an einem Tisch mit Kunststofffurnier und Resopalplatte. Er hatte schwarzes, kurz geschorenes Haar mit grauen Strähnen und braune Augen mit langen schwarzen Wimpern. Ende
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