Das Sigma-Protokoll
ich...«
»Sie hören jetzt mir zu, Agent Navarro. Die Anordnung lautet:
Schließen Sie die Sache ab. Und zwar unverzüglich. Ramago ist aus dem Spiel, und Rossignol war unsere letzte Chance. Ich weiß nicht, wie Sie an ihn herangekommen sind; Fakt ist, dass er jetzt tot ist. Was Ihren Sinn für Diskretion angeht, bin ich also ganz offensichtlich einer Fehlinformation aufgesessen.« Bartletts Stimme war eisig.
»Aber die Sigma-Liste...«
»Sie haben mir gegenüber davon gesprochen, die Beschattung und Kontaktaufnahme mit der nötigen Diskretion vorzunehmen. Sie haben mich nicht darauf aufmerksam gemacht, dass Sie darunter verstehen, jemanden ins Rampenlicht zu zerren. Wie oft habe ich Sie auf den extrem heiklen Charakter dieses Einsatzes hingewiesen? Wie oft, Agent Navarro?«
Anna fühlte sich, als hätte man ihr einen Schlag in den Magen versetzt. »Ich entschuldige mich für alles, was den Eindruck erweckt...«
»Das brauchen Sie nicht, Agent Navarro. Ich bin ja selbst schuld. Ich habe Sie angefordert. Und ich kann nicht leugnen, dass man mich ausdrücklich gewarnt hat. Ich war zu stur. Sie mit dieser Aufgabe zu betrauen, war ganz allein mein Fehler. Die Verantwortung liegt ganz allein bei mir.«
»Ach, hören Sie doch auf mit dem Scheiß«, sagte Anna. Sie hatte die Nase plötzlich gestrichen voll. »Sie haben gar nicht die Informationen, um mir mit solchen Anschuldigungen zu kommen.«
»Sie haben dienstrechtliche Schritte zu gewärtigen, Agent Navarro. Ich erwarte Sie bis spätestens fünf Uhr morgen Nachmittag in meinem Büro.«
Anna brauchte ein paar Sekunden, bis sie merkte, dass Bartlett aufgelegt hatte. Ihr Herz raste, sie war rot vor Zorn. Wenn er nicht schon aufgelegt hätte, hätte sie ihn sicher so beschimpft, dass ihre Karriere ein für alle Mal beendet gewesen wäre.
Die ist sowieso im Eimer, dachte sie. Aus und vorbei. Wenn Dupree Wind davon bekam, dass sie mit der Internal Compliance Unit aneinander geraten war, dann konnte sie sich fünf Minuten später ihre Papiere abholen.
Aber wenn sie schon flog, dann wenigstens mit Pauken und Trompeten.
Der Gedanke an das Unvermeidliche war irgendwie berauschend. Wie in der Achterbahn. Du kannst nicht raus, also amüsier dich wenigstens.
29. KAPITEL
Wien
Das Büro von Jakob Sonnenfeld befand sich - eingezwängt zwischen billigen Geschäften und schummerigen Cafés - in einem düsteren, relativ modernen Gebäude in der Salztorgasse. Der legendäre Nazijäger hatte zahlreiche Zeitschriftentitel geziert, war im Fernsehen Thema zahlloser Porträts und Dokumentarfilme gewesen und hatte sogar einige kleine Auftritte in Spielfilmen absolviert. Seine Telefonnummer stand ohne Adresse im Wiener Telefonbuch. Ben hatte um halb neun morgens angerufen und war überrascht gewesen, dass sofort jemand abhob. Eine forsche Dame erkundigte sich, weshalb er Sonnenfeld sprechen wolle.
Ben sagte ihr, dass er der Sohn eines Holocaust-Überlebenden sei und sich wegen privater Nachforschungen über die Nazizeit in Wien aufhalte. Das Einfachste war, sich an bekannte Tatsachen zu halten. Er wurde ein zweites Mal überrascht, als die Frau nichts gegen einen Termin noch am gleichen Morgen einzuwenden hatte.
Am Abend zuvor hatte Anna Navarro ihm zu ein paar >Ausweichmanövern< geraten, um etwaige Verfolger abzuschütteln. Und tatsächlich hatte er auf seinem verschlungenen Weg zu Sonnenfeld das Rotbäckchen mit den Bürstenbrauen gesehen. Daraufhin hatte er ein paar Mal kehrtgemacht, hatte mehrmals überraschend die Straßenseite gewechselt und war schließlich in einen Buchladen gegangen und hatte dort eine Zeit lang herumgestöbert. Entweder hatte er ihn abgehängt, oder sein Verfolger achtete jetzt mehr darauf, dass man ihn nicht entdeckte.
Ben stand jetzt vor dem Bürogebäude in der Salztorgasse. Als der Summer ertönte, ging er ins Haus und fuhr mit dem Aufzug
in den dritten Stock. Dort erwartete ihn ein Wachmann, der ihm den Weg zeigte. Eine junge Frau öffnete die Tür und deutete auf einen unbequemen Stuhl. Die Wände des Flurs hingen voller Urkunden und Auszeichnungen zu Ehren Sonnenfelds.
Während er wartete, zückte er sein Handy und sprach Oscar Peyaud in Paris eine Nachricht auf Band. Dann rief er das Hotel an, das er am Vorabend so unelegant hatte verlassen müssen.
»Guten Morgen, Mr. Simon«, sagte der Portier. Für Bens Ohren klang er einen Tick zu vertraulich. »Ja, Sir, ich habe eine Nachricht für Sie. Einen Augenblick bitte. Sie ist von Hans
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