Das Sigma-Protokoll
Sigma«, sagte Ben ungerührt. »Die anderen Mitbegründer waren Industrielle der westlichen Welt, und dann noch ein paar wenige Nazis. Und zu denen gehörte der Finanzchef der Organisation: Obersturmführer Max Hartman.«
Sonnenfelds wässerige Augen blickten starr geradeaus. »Eine außergewöhnliche Geschichte. Sigma, sagten Sie? Großer Gott.«
»Ich fürchte, Sie werden die Geschichte ziemlich abgedroschen finden«, sagte der Besucher mit der schwarzen Lederjacke.
»Es geht um Ihre Frau«, entgegnete Privatdetektiv Hoffmann zwinkernd.
Der Mann grinste verlegen.
»Sie ist jung, und sie ist hübsch, stimmt’s?«
Ein Seufzer. »Ja.«
»Die jungen Hübschen sind die Schlimmsten«, sagte Hoffmann kumpelhaft. »Mein Rat: Vergessen Sie sie. Sie werden ihr ohnehin nie mehr trauen.«
Dem Besucher schien es Hoffmanns teurer neuer Laptop angetan zu haben. »Edles Teil«, sagte er.
»Kann mir ein Leben ohne gar nicht mehr vorstellen«, meinte Hoffmann. »In technischen Dingen bin ich eine absolute Null. Aber mit dem Apparat ist es wirklich kinderleicht. Aktenschränke ade. Alles ist da drin.«
»Was dagegen, wenn ich mal einen Blick drauf werfe?«
Hoffmann zögerte. Der wildfremde Mann von der Straße, der vermeintliche Kunde, konnte ein ganz gewöhnlicher Dieb sein. Er schaute ihn noch mal an: breite Schultern, schmale Taille, kein Gramm zu viel. Vorsichtig zog er eine Schublade seines Metallschreibtischs ein paar Zentimeter auf. Die Glock lag an ihrem Platz.
»Vielleicht ein andermal«, sagte Hoffmann. »Die Daten sind vertraulich. Also, jetzt erzählen Sie mir mal was über Ihre Frau und den Arsch, der sie vögelt.«
»Stellen Sie ihn doch mal an«, sagte der Besucher. Hoffmann schaute den Mann scharf an. Das war keine Frage mehr, sondern ein Befehl.
»Was wollen Sie von mir?«, fuhr Hoffmann seinen Besucher an. Und dann sah er die Makarov mit Schalldämpfer, die auf ihn gerichtet war.
»Schalten Sie den Computer ein«, sagte der Mann leise.
»Eins steht fest. Diese Urkunde war niemals für die Öffentlichkeit bestimmt«, sagte Sonnenfeld. »Eine Art Formblatt einer Schweizer Bank. Ausschließlich für internen Gebrauch. Nur für die Finanzjongleure in Zürich.«
»Ich verstehe nicht.«
»Die Legende Sigma existiert schon seit Jahrzehnten. Aber es ist nie auch nur der geringste Anhaltspunkt aufgetaucht, der eine konkretere Spekulation erlaubt hätte. Das wüsste ich. Das können Sie mir glauben.«
»Bis jetzt. Richtig?«
»Sieht so aus«, sagte Sonnenfeld leise. »Auf jeden Fall war Sigma eine fiktive Konstruktion. Eine Fassade, ein Trick. Ein separater Friedensschluss zwischen Industriellen beider Kriegsseiten, unabhängig von den tatsächlichen Waffenstillstandsbedingungen.
Das Papier, das Ihr Bruder ausgegraben hat, stellt vielleicht die einzige Manifestation dieses Pakts dar.«
»Die Legende Sigma, wie Sie das eben genannt haben, worin bestand die?«
»Die Legende besagt, dass bei geheimen Treffen einflussreiche Geschäftsleute und Politiker sich darüber verständigten, gewaltige, dem deutschen Staat gestohlene Vermögenswerte außer Landes zu schaffen. Es dürfte Ihnen bekannt sein, dass nicht jeder Gegner Hitlers automatisch ein Held war. Viele waren kühle Pragmatiker, denen klar war, dass das Ende bevorstand und - wer dafür die Verantwortung trug. Diese Leute machten sich Sorgen um eine mögliche Verstaatlichung. Sie hatten sich um ihre eigenen Imperien zu kümmern. Wirtschaftsimperien. Es gibt jede Menge Hinweise dafür, dass es solche Pläne gegeben hat. Nur haben wir immer geglaubt, dass es bei den Plänen geblieben sei. Fast alle Beteiligten sind inzwischen tot.«
»Aber eben nicht alle«, sagte Ben scharf. »Ich möchte Sie bitten, mir etwas über die Leute zu erzählen, die in Ihr Spezialgebiet fallen - über die Nazis Gerhard Lenz, Josef Strasser und...« Er machte eine kurze Pause. »Max Hartman.«
Sonnenfeld sagte nichts. Er stützte den Kopf in seine großen, runzeligen Hände. »Wer sind diese Leute?«, murmelte er abwesend. Eine rein rhetorische Frage. »Immer die gleiche Frage. Und ich gebe immer die gleiche Antwort: Wer will das wissen? Warum wollen Sie das wissen?«
»Was soll der Blödsinn?«, sagte Hoffmann. »Nehmen Sie die Waffe runter.«
»Machen Sie die Schublade zu. Vorsichtig!«, sagte der Mann. »Eine falsche Bewegung, und Sie sind tot.«
»Das würde ich lassen. Sonst kommen Sie nämlich nie an die Daten«, entgegnete Hoffmann. »Der Computer ist mit
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