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Das Sigma-Protokoll

Das Sigma-Protokoll

Titel: Das Sigma-Protokoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Ludlum
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verschwommene Bilder. Ohne Bedeutung, ohne Schärfe. Umrisse, die sich wabernd im Grau verloren und im Nichts auflösten wie der Kondensstreifen eines Jets am Himmel. Am Anfang war nur Bewusstsein, ohne dass er gewusst hätte, wessen er sich bewusst gewesen wäre. Ihm war kalt. Hundekalt. Nur in seiner Brust spürte er eine sich ausbreitende Wärme.
    Und da, wo die Wärme war, da saßen die Schmerzen.
    Das war gut. Schmerzen waren gut.
    Schmerzen waren der Freund des Architekten. Mit Schmerzen konnte er umgehen. Schmerzen konnte er, wenn nötig, unterdrücken. Und vor allem: Schmerzen bedeuteten, dass er noch lebte.
    Kälte war nicht gut. Das hieß, dass er viel Blut verloren hatte und sich in einem Schockzustand befand: Der Puls ging
langsamer, das Herz schlug schwächer, die Blutbahnen in den Extremitäten zogen sich zusammen, um die Blutzufuhr zu nicht lebenswichtigen Körperteilen auf ein Minimum zu beschränken.
    Er musste seine eigene Situation exakt bestimmen. Er lag auf dem Boden. Reglos. Konnte er hören? Er konzentrierte sich: Ein, zwei Sekunden herrschte absolute Stille in seinem Kopf. Dann, als hätte man die Verbindung wieder hergestellt, hörte er Stimmen. Weit weg, gedämpft. Stimmen in einem geschlossenen Raum.
    In einem Haus.
    Wessen Haus?
    Er musste ziemlich viel Blut verloren haben. Was war in der vergangenen Stunde passiert?
    Argentinien. Buenos Aires.
    Strasser.
    Strassers Haus. Wo er auf Benjamin Hartman und Anna Navarro gewartet hatte und wo er auf andere Personen gestoßen war. Inklusive jemandem mit einem Scharfschützengewehr.
    Er hatte mehrere Kugeln in die Brust abbekommen. Das überlebt keiner. Nein! Er verbot sich diesen Gedanken. Es war ein unproduktiver Gedanke. Der Gedanke eines Amateurs.
    Er war überhaupt nicht getroffen worden. Ihm ging es gut. Er war zwar geschwächt, aber nicht so, dass es ihm nicht möglich gewesen wäre, das auszugleichen. Nicht so, dass er aus dem Rennen war. Das glaubten die anderen, und das war sein Vorteil. Die verschwommenen Bilder in seinem Gehirn wurden für kurze Augenblicke scharf. Er erkannte die Umrisse, sah drei Gesichter vor sich wie auf Passfotos: Benjamin Hartman, Anna Navarro, Josef Strasser.
    Sein Gehirn reagierte so zähflüssig und langsam wie altes Öl um eine Kurbelwelle. Aber es würde arbeiten. Es war alles eine Frage der mentalen Konzentration: Er würde die Schmerzen auf einen anderen Körper übertragen; einen von ihm selbst imaginierten Doppelgänger; eine andere Person, die blutüberströmt war und sich im Schock befand; eine Person, die nicht er war. Ihm ging es gut. Sobald er seine Kräfte gebündelt hätte, würde er aufstehen und gehen. Würde die Verfolgung aufnehmen und töten.
Die schiere Kraft seines Willens hatte bislang noch jeden Widerstand überwunden. Und sie würde es wieder tun.
    Hätte jemand in diesen Minuten Hans Voglers Körper ganz genau beobachtet, so hätte er möglicherweise bemerkt, dass sich während dieser Bündelung gewaltiger mentaler Kräfte nur einmal, kaum sichtbar, ein Augenlid bewegt hatte. Sonst nichts. Genau wie ein Verdurstender in der Wüste sich jeden einzelnen Schluck aus der Feldflasche einteilt, so wurde jetzt jede physische Aktion im Voraus genau geplant und festgelegt. Es würde keine überflüssige Bewegung geben.
    Der Architekt lebte, um zu töten. Auf diesem Gebiet hatte er nicht seinesgleichen. Das war seine einzigartige Berufung. Er würde jetzt töten, nur um zu beweisen, dass er noch lebte.

    »Wer sind Sie?«, fragte Strasser mit schriller, krächzender Stimme.
    Bens Blick wanderte von der falschen Schwester, die in ihrer blutverschmierten weißen Tracht im Flur lag, zu dem Killer Hans Vogler und schließlich zu den beiden von seinem Vater angeheuerten Israelis, die jetzt tot auf dem rot gefärbten Plattenweg lagen.
    »Herr Strasser«, sagte Anna. »Die Polizei kommt jeden Moment. Wir haben nicht viel Zeit.«
    Ben wusste, was sie meinte: Die argentinische Polizei war so korrupt, dass sie sich besser aus dem Staub machten, bevor sie eintraf. Sie hatten also nur wenig Zeit, um aus dem alten Deutschen die Informationen herauszuholen, die sie brauchten.
    Strassers Gesicht war von einem Netz kreuz und quer verlaufender Falten und Runzeln überzogen. Die Mundwinkel der blutlosen Lippen hingen herunter. Sie waren ebenfalls runzelig und sahen aus wie in die Länge gezogene Pflaumen. Zwischen den Augen, die tief in ihren Höhlen lagen und wie Rosinen in einem Teigklumpen wirkten, saß eine

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