Das Sigma-Protokoll
damit auf Ben. Der Lauf einer kleinen Pistole war auf Ben gerichtet.
»Fallen lassen!«, rief Anna.
Ben stand etwa einen Meter neben Anna. Lenz konnte sie nicht beide auf einmal in Schach halten. »Sie wollen doch nicht, dass einer von uns verletzt wird«, sagte Lenz. »Also schlage ich vor, dass Sie Ihre Waffe langsam auf den Boden legen.«
»Nein«, sagte Anna.
Lenz war die Ruhe selbst. Höflich erklärte er: »Wenn Sie auf mich schießen, Miss Navarro, wird auch Ihr Freund sterben. Das sehen Sie doch ein. Sie müssen sich fragen, ob es das wirklich wert ist.«
»Lassen Sie die verdammte Spielzeugpistole fallen!«, rief Anna.
»Durch meinen Tod würde sich nichts ändern. Andere werden meine Arbeit fortführen. Aber Ihr Freund Benjamin, der wäre auch tot.«
»Nein!« Die heisere, aber laute Stimme eines alten Mannes.
Lenz drehte sich ruckartig um.
»Lass meinen Sohn in Ruhe!«
Die Stimme kam aus einer im Schatten liegenden Ecke des großen Raumes. Lenz zielte dorthin. Dann änderte er seine Meinung und richtete die Waffe wieder auf Ben.
Wieder ertönte die laute Stimme: »Lass meinen Sohn in Ruhe!«
Ben erkannte nun die Umrisse einer in einem Sessel sitzenden Gestalt. Es war sein Vater. Er hielt eine Pistole in der Hand.
Ben war wie gelähmt.
Er starrte auf die Gestalt, als erwarte er, dass sie sich jeden Augenblick in Luft auflöse. Aber sie war real.
»Lass sie beide gehen«, sagte Max Hartman mit nun leiserer Stimme.
»Max, mein alter Freund, du hast mich vielleicht erschreckt«, sagte Lenz in jovialem Tonfall. »Vielleicht kannst ja du den beiden etwas Vernunft beibringen.«
»Es reicht«, sagte Max. »Es sind genug Menschen gestorben. Es ist genug Blut geflossen. Das Spiel ist aus.«
Lenz versteifte sich. »Du törichter alter Mann«, sagte er.
»Du hast Recht«, sagte Max. »Ich bin ein törichter alter Mann.« Er blieb still sitzen und hielt weiter die Waffe auf Lenz gerichtet. »Und ich war ein törichter junger Mann. Damals wie heute habe ich mich von dir täuschen lassen. Immer habe ich in Angst vor dir und deinen Leuten, in Angst vor deinen Drohungen und Erpressungen gelebt.« Seine Stimme bebte vor Zorn. »Was ich mir auch aufgebaut hatte, was ich auch erreicht hatte - deinen Schatten bin ich nie los geworden.«
»Du kannst die Waffe jetzt ruhig wieder wegstecken, mein Freund«, sagte Lenz milde. Seine Waffe zeigte im Moment zwar wieder in Bens Richtung, doch hatte er sie eben für den Bruchteil einer Sekunde in Richtung Max bewegt.
Das reicht, um ihn zu Boden zu reißen, dachte Ben. Wenn er das nächste Mal abgelenkt wird.
Max fuhr fort, als hätte er Lenz’ Worte nicht gehört und als wäre außer ihnen beiden niemand im Raum. »Ich habe keine Angst mehr vor dir.« Die Stimme hallte von den Steinwänden wider. »Ich werde mir nie verzeihen, dass ich dir und deinen mörderischen Lakaien zu Diensten gewesen bin, dass ich diesen Pakt mit dem Teufel eingegangen bin. Ich glaubte, das Richtige zu tun - für meine Familie, für meine Zukunft, für die ganze Welt. Alles Selbstbetrug. Was du meinem Sohn Peter angetan hast...« Er konnte nicht weitersprechen.
»Du weißt genau, dass das ein tragisches Versehen war«, protestierte Lenz. »Das Werk übereifriger Sicherheitsleute, die ihre Befugnisse überschritten hatten.«
»Es reicht!«, brüllte Max. »Ich kann deine gottverdammten Lügen nicht mehr ertragen.«
»Und was wird aus unserem Projekt? Herrgott noch mal, Max. Du scheinst nicht zu begreifen, dass...«
»Nein, du begreifst nicht. Glaubst du etwa, ich interessiere mich für deine Allmachtsfantasien? Glaubst du, das hat mich je interessiert?«
»Was soll das heißen? Ich habe dich hierher eingeladen, weil ich dir etwa Gutes tun wollte, weil ich das Gefühl hatte, etwas gutmachen zu müssen.« Lenz war um Haltung bemüht, konnte seine Erregung aber kaum mehr verbergen.
»Etwas gutmachen? Das ist nichts weiter als die nahtlose Fortsetzung des Horrors. Alles und jeder wurde und wird deinem Wahn vom ewigen Leben geopfert.« Er atmete schwer. »Und jetzt willst du mir auch noch meinen zweiten Sohn rauben. Nach allem, was du mir schon genommen hast.«
»Langsam begreife ich. Du bist mit dem Vorsatz ins Schloss gekommen, uns zu verraten. Deine Annäherungsversuche waren ein Trick.«
»Wie hätte ich sonst in diese Festung kommen sollen? Nur
hier, in der Höhle des Löwen, konnte ich der Sache auf den Grund gehen.«
»Das ist schon immer mein Fehler gewesen.« Es hörte sich
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