Das Sigma-Protokoll
und sicher viel leichter als sein Opel Omega. Der Mann brachte sich mit einem Satz in Sicherheit, kurz bevor das Heck des Saab herumschleuderte. Ben wurde in den Sicherheitsgurt gepresst, der ihm wie ein Stahlband ins Fleisch schnitt. Die Wucht des Aufpralls schaffte aber auch gerade genug Platz, dass sich der Opel mit einem kreischenden Kratzen zwischen dem Saab und der Felswand hindurchquetschen konnte. Der Wagen mit seiner völlig demolierten Frontpartie hatte mit dem glänzenden Leihwagen aus Zürich zwar nicht mehr viel gemein, aber der Motor lief, und die Reifen drehten sich. Ben gab Gas und wagte nicht, sich noch mal umzuschauen.
Dann hörte er Schüsse krachen. O Gott! Es war noch nicht vorbei! Es würde nie vorbei sein!
Bens Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Das Adrenalin pumpte durch jede Faser seines Körpers. Er sah im Rückspiegel, dass der Renault sich ebenfalls durch die Lücke gequetscht hatte und ihm folgte. Aus dem Fenster an der Beifahrerseite ragte der Lauf einer Waffe. Eine Maschinenpistole, aus der Sekunden später Dauerfeuer sprühte.
Er raste jetzt über eine schmale, einspurige Steinbrücke, die eine tiefe Schlucht überspannte. Plötzlich hörte er hinter sich das Splittern von Glas. Kugeln durchlöcherten die Heckscheibe. Fast im gleichen Augenblick zerplatzte der Rückspiegel. Das waren Profis, die genau wussten, was sie taten. Er hatte keine Chance.
Dann hörte er ein dumpfes platzendes Geräusch, und der Wagen kippte nach links weg: Einer der Reifen war zerschossen. Er befand sich immer noch auf der schmalen Brücke. Sie zielten jetzt auf die Reifen.
Ben erinnerte sich an den Vortrag eines Sicherheitsexperten vor Top-Managern der Hartman Capital Management. Er hatte über Verhaltensmaßregeln für den Entführungsfall in Dritte-Welt-Ländern referiert. Sie kamen ihm jetzt - wie schon damals - lächerlich unpassend vor. Verlassen Sie nie das Auto!, lautete eine der Regeln. Viel Spielraum, sich dieser Anweisung zu widersetzen, hatte er nicht.
Dann hörte er das unverkennbare Heulen einer Polizeisirene. Er drehte sich um und sah durch eins der gezackten Einschusslöcher in der trüben Heckscheibe, dass sich hinter dem Renault ein drittes Auto mit hoher Geschwindigkeit näherte. Auf dem Dach blinkte ein Blaulicht. Mehr konnte er der Entfernung wegen nicht erkennen. Plötzlich hörte das Rattern der Maschinenpistole auf.
Ben sah, wie der Renault eine Vollbremsung hinlegte, um hundertachtzig Grad herumschleuderte und an dem zivilen Polizeiwagen in entgegengesetzter Richtung vorbeiraste. Seine Verfolger entkamen!
Ben bremste und hielt hinter der Steinbrücke an. Sein Kopf kippte auf die Brust. Er war völlig erledigt. Eine Minute verstrich, dann noch eine. Wo war der Polizeiwagen? Er schaute sich um. Nichts. Auch der demolierte Saab war aus der Tunneleinfahrt verschwunden.
Er war allein. Die einzigen Geräusche waren sein Herzschlag und das Brummen das Motors. Er zog das Handy aus der Tasche - dann erinnerte er sich an das Gespräch mit Kommissar Schmid und traf eine Entscheidung. In der Schweiz können sie dich ohne Grund vierundzwanzig Stunden einsperren, hatte Howie gesagt. Schmid hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass er jeden Vorwand
nutzen würde, um genau das zu tun. Er würde die Polizei nicht anrufen.
Als sich die Panik etwas legte, spürte er die totale Erschöpfung. Er konnte nicht mehr klar denken und brauchte unbedingt etwas Schlaf. Er musste sich regenerieren, musste seine Akkus wieder aufladen.
Mühsam kroch er mit dem übel zugerichteten Opel eine steile Bergstraße hinauf. Wegen der zerfetzten Reifen dauerte es eine Weile, bis er das nächste Dorf erreichte. Die schmalen Straßen säumten altertümliche Steinhäuser, erst waren es nur winzige, halb verfallene Steinhütten, dann etwas größere Häuser aus Stein und Holz. Einige Lichter brannten, doch die meisten Fenster waren dunkel. Das Kopfsteinpflaster war so uneben, dass der Opel immer wieder aufsetzte oder über die holprigen Steine kratzte.
Schließlich erreichte er den Rathausplatz, dessen Bild von einer gotischen Kathedrale beherrscht wurde. In der Mitte des großen Kopfsteinpflasterplatzes befand sich ein steinerner Springbrunnen. Ben glaubte sich ins 17. Jahrhundert zurückversetzt, in ein Dorf, das auf noch älteren Ruinen erbaut worden war und aus einem sonderbaren Mischmasch architektonischer Stilelemente bestand.
Gegenüber der Kathedrale befand sich ein Herrenhaus mit Giebelstufen aus dem 17.
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