Das Sigma-Protokoll
hat meinem Mann blind vertraut«, murmelte die alte Frau, als wiederhole sie nur eine immer wieder geäußerte Floskel höchster Anerkennung.
Anna blätterte in ihren Unterlagen und sagte dann: »Sie sind sofort nach Highsmiths Tod von Toronto hierher gezogen.«
»Mein Mann hatte sich so seine Gedanken gemacht.«
»Über Highsmiths Tod?«
Die alte Frau zögerte, sprach dann aber weiter: »Er hat sich gefragt, wie andere auch, ob das wirklich ein Unfall war. Robert war da zwar schon lange pensioniert, bei Sicherheitsfragen hat man ihn aber immer noch zurate gezogen. Manchmal hat er sich Vorwürfe gemacht. Ich glaube, dass er auch deshalb etwas merkwürdig geworden ist. Wenn das kein Unfall war, hat er sich eingeredet, dann würden Highsmiths Feinde eines Tages auch hinter ihm her sein. Das hört sich verrückt an, ich weiß. Aber er war schließlich mein Mann. Ich habe seine Entscheidungen nie angezweifelt.«
»Und deshalb sind Sie beide hierher gezogen«, sagte Anna mehr zu sich selbst. Nach Jahrzehnten in Großstädten wie London und Toronto hatte sich Robert Mailhot aufs Land geflüchtet, hatte sich buchstäblich verkrochen. Er war zurückgekehrt an den Ort, den sich einst seine und ihre Vorfahren zur Heimat erkoren hatten, wo sie jeden Nachbarn kannten, wo sie sich sicher glaubten und ein unscheinbares Leben führen konnten.
»Ich habe das nie geglaubt«, sagte Mrs. Mailhot. »Mein Mann hat sein Misstrauen gepflegt, und ich habe ihn gelassen. Das war
alles. Mit dem Alter ist er immer ängstlicher geworden. Manche Männer sind so.«
»Sie haben das für einen Spleen gehalten, oder?«
»Haben wir nicht alle unsere Spleens?«
»Und was halten Sie jetzt davon?«, fragte Anna behutsam.
»Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.« Die Augen der alten Frau glänzten feucht.
»Wissen Sie, wo er seine Bankunterlagen aufgehoben hat?«
»Scheckbücher und solche Sachen sind oben in einem Karton.« Sie zuckte mit den Schultern. »Wenn Sie wollen, können Sie sich das Zeug anschauen.«
»Danke, später vielleicht«, sagte Anna. »Als Erstes möchten wir Sie bitten, dass Sie uns erzählen, was in der Woche vor dem Tod Ihres Mannes passiert ist. Was hat er getan, wohin ist er gegangen, ist er verreist? Ganz genau. Wen hat er angerufen, wer hat ihn angerufen? Hat er Post bekommen? Restaurant- oder Barbesuche? Waren Handwerker im Haus? Der Installateur, der Techniker von der Telefongesellschaft, der Heizungsableser, irgendwelche Lieferanten? Erzählen Sie uns alles, was Ihnen einfällt.«
Sie befragten sie zwei Stunden lang und ließen nicht locker, auch als sie merkten, dass die alte Frau allmählich müde wurde. Unterbrochen wurde nur, wenn einer aufs Klo musste. Wenn sie aufhörten und fragten, ob sie morgen wieder kommen dürften, würde die Witwe ihre Meinung ändern - davon war Anna überzeugt. Sie würde mit einem Freund oder einem Anwalt sprechen und ihnen morgen sagen, dass sie sich zum Teufel scheren sollten.
Nach zwei Stunden waren sie kaum schlauer als vorher. Die Witwe hatte nichts dagegen, dass sie sich das Haus näher ansahen. Es gab keinerlei Anzeichen für ein gewaltsames Eindringen, weder an der Haustür noch an einem der Fenster. Der Mörder - wenn es denn einen gab - musste unter einem Vorwand ins Haus gelangt sein; oder Mailhot hatte seinen Mörder gekannt.
In der Abstellkammer stand ein alter Elektrolux-Staubsauger. Anna nahm den Beutel heraus. Er war voll. Das bedeutete, dass er wahrscheinlich seit Mailhots Tod nicht gewechselt worden war. Gut. Sie würde die Techniker von der Spurensicherung beauftragen, die Wohnung noch einmal komplett durchzusaugen. Vielleicht fanden sich ja doch noch verwertbare Spuren.
Vielleicht fanden sich sogar Fußabdrücke oder Reifenspuren. Sie brauchte zum Vergleich Abdrücke von den Schuhen der Witwe und aller Personen, die regelmäßig das Haus betraten.
Als sie wieder im Wohnzimmer waren, wartete Anna, bis sich die Witwe niedergelassen hatte, und setzte sich dann in den Sessel neben sie. »Mrs. Mailhot«, sagte sie vorsichtig, »hat Ihnen Ihr Mann jemals erzählt, warum Mr. Highsmith das Opfer eines Anschlags geworden sein könnte?«
Die Witwe schaute sie lange an - als überlegte sie, welchen Teil der Geschichte sie enthüllen sollte. »Große Männer haben große Feinde«, erwiderte sie schließlich unheilvoll.
»Was meinen Sie damit?«
Mrs. Mailhot wich Annas Blick aus. »Das hat mein Mann immer gesagt.«
Schweiz
Ben verließ bei erstbester
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