Das Sigma-Protokoll
sterben musste. Ich hatte keine Wahl.«
»Keine Wahl? Du hättest ihnen ihr Scheißdokument geben können. Du hättest auf ihre Forderungen eingehen können - und alles wäre vorbei gewesen.«
Peter stöhnte. »Genauso könntest du versuchen, Zahnpasta zurück in die Tube zu quetschen. Keine Chance. Sie hätten mich nie am Leben gelassen. Ich wusste einfach zu viel.«
»Und wozu waren die beiden Warnschüsse gut?«
»Um mich erst mal so lange ruhig zu stellen, bis sie herausgefunden hatten, wie viel genau ich wusste und ob ich jemandem davon erzählt hatte.«
Ben hörte aus dem Nebenraum knarzende Bodendielen. Offenbar hatte die Wirtin noch etwas zu erledigen. »Wie hast du es gemacht, Peter? Ich meine, deinen Tod inszeniert. Muss doch ziemlich kompliziert gewesen sein, oder?«
»Und ob.« Peter lehnte sich zurück und legte den Kopf an die Fensterscheibe. »Ohne Liesl hätte ich es nie geschafft.«
»Deine Freundin?«
Peter nickte. »Sie ist eine wunderbare, wirklich bemerkenswerte Frau. Meine Geliebte und mein bester Freund. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal so einem Menschen begegnen würde. Hoffentlich findest du auch jemanden, der nur halb so fantastisch ist. Eigentlich war es ihre Idee. Ich hätte so einen Plan nie zusammenpuzzeln können. Wir waren uns einig, dass ich untertauchen musste. Aber Liesl hat darauf bestanden, dass es besser wäre, wenn ich endgültig verschwinden würde.«
»Wie habt ihr das mit der Untersuchung deines Gebisses gedeichselt? Die hatten die Leiche zweifelsfrei identifiziert.«
Peter grinste. »Man hat die Zähne der Leiche mit den Röntgenbildern verglichen, die Dr. Merrill zu Hause in Westchester hatte. Sie haben natürlich angenommen, dass die von mir stammten.«
Ben schüttelte verblüfft den Kopf. »Und die Leiche selbst?«
»Das war Liesls Idee. Die Medizinstudenten an der Uni Zürich leisten sich zum Abschluss des Frühjahrssemesters fast immer den gleichen Scherz. Sie klauen die Leiche, an der sie im Anatomiekurs rumgeschnippelt haben. Eine Art morbider Frühjahrsscherz, Medizinstudentenhumor - eines Tages verschwindet die Leiche einfach. Natürlich wird sie später gegen eine Art Lösegeld wieder zurückgekauft. Bei der Aktion hat es Liesl irgendwie geschafft, eine andere Leiche mit aus der Pathologie rauszuschmuggeln. Die passenden Unterlagen inklusive der Röntgenbilder vom Gebiss zu besorgen war nicht sonderlich schwer. Schließlich sind wir in der Schweiz, da wird alles akribisch dokumentiert.«
Ben musste gegen seinen Willen lächeln. »Und wie sind die Röntgenbilder vertauscht worden?«
»Ich habe einfach einen Mann für einen kleinen simplen Einbruch angeheuert. Dr. Merrills Praxis ist nicht Fort Knox. Keine große Sache. Als die Polizei meine Röntgenbilder anforderte, haben sie die falschen bekommen.«
»Und der Flugzeugabsturz?«
Während Peter ihm haarklein die ganze Geschichte erzählte, beobachtete Ben seinen Bruder. Peter war immer ein freundlicher, besonnener und nachdenklicher Mensch gewesen. Berechnung und Verschlagenheit hatten nie zu seinen Charaktereigenschaften gehört. Doch die waren für so einen Plan nötig gewesen. Er musste Höllenängste ausgestanden haben.
»Ein paar Wochen vorher hatte sich Liesl um eine Stelle in einem kleinen Krankenhaus im Kanton St. Gallen beworben. Die brauchten gerade eine Kinderärztin, also haben sie sie mit Handkuss genommen. Sie mietete ein kleines Holzhaus, das an einem See mitten im Wald lag. Ich war der kanadische Ehemann, der in der Einsamkeit an einem Buch arbeitete. Aber ich habe immer Verbindung gehalten mit den paar Leuten, die Bescheid wussten.«
»War das nicht gefährlich?«
»Das waren Leute, auf die ich mich absolut verlassen konnte. Liesls Cousin in Zürich ist Rechtsanwalt. Er war unser Horchposten, unsere Augen und Ohren. Liesl und ich vertrauen ihm hundertprozentig. Er hat vielfältige internationale Geschäftsbeziehungen und deshalb auch gute Kontakte zur Polizei, zur Bankenszene und zu Privatdetektiven. Gestern hat er erfahren, dass die Polizei im Zusammenhang mit dem Blutbad am Bahnhofplatz einen Ausländer verhört hat. Als mir dann Dieter von dem Mordversuch an dir erzählte, war mir alles klar. Die noch lebenden Mitglieder der Organisation oder deren Erben waren wahrscheinlich nie ganz davon überzeugt, dass ich wirklich tot bin. Sie sind immer auf der Hut geblieben. Entweder haben sie darauf gewartet, dass ich wieder auftauche oder dass du die Nachforschungen fortsetzt.
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