Das Sigma-Protokoll
ein großer und auf eine etwas raue Art attraktiver Mann. Ramón fiel auf, mit welchem Blick Anna David anschaute. »Ich weiß genau, was du denkst«, sagte er zu ihr, als David in der Küche ein paar Drinks mixte. »Du denkst >Gott, was für eine Verschwendung<.«
Anna lachte. »Tja, der Gedanke ist mir tatsächlich schon mal gekommen.«
»Das sagen alle Frauen.« Ramón grinste. »Tja, ich für meinen Teil bin da ganz anderer Meinung.«
Ein paar Wochen später erklärte Anna David beim Lunch, warum er nicht befördert worden war und weiter auf E-3 bliebe. »Was soll ich deswegen unternehmen?«, fragte sie ihn. Laut Dienstweg musste David an Anna berichten, und Anna berichtete dann an Dupree.
Denneen reagierte besonnen, weit weniger wütend als Anna selbst. »Ich will das nicht an die große Glocke hängen. Ich mache meine Arbeit und Schluss.« Er schaute sie an. »Willst du die Wahrheit wissen? Ich will so schnell wie möglich raus aus Duprees Abteilung. Mich interessieren Einsatz und Strategie. Aber als E-3 komme ich da nie hin. Es sei denn, du könntest da was machen.«
Anna ließ ein paar Beziehungen spielen. Das bedeutete zwar, dass sie Dupree austricksen musste und dass sie sich dadurch bei der OSI-Führung nicht gerade beliebt machte, aber es funktionierte. Denneen vergaß ihr das nie.
Jetzt erzählte sie Denneen, was in ihrer Wohnung passiert war. Bei Ramóns Hühnchen-Mole und einer Flasche samtigen Riojas fiel die Spannung allmählich von ihr ab. Schon bald witzelte sie über den Vorfall. »Komm mir vor, als hätte mir einer von den Back Street Boys den Hintern versohlt.«
»Du könntest tot sein«, sagte Denneen zum wiederholten Male mit ernstem Gesicht.
»Bin ich aber nicht. Deshalb ist er bestimmt nicht bei mir eingestiegen.«
»Sondern?«
Anna schüttelte ratlos den Kopf.
»Hör zu, Anna. Mir ist klar, dass du nicht drüber reden darfst. Aber könnte es sein, dass das mit deinem neuen Job bei der ICU zusammenhängt? Nach all dem, was Alan Bartlett im Laufe der Jahre an Geheimoperationen durchgezogen hat.«
»El diablo sabe mas por viejo que por diablo«, brummte Ramón eines seiner dominikanischen Sprichwörter. Der Teufel weiß mehr, weil er alt ist und nicht weil er der Teufel ist.
»Glaubst du, das ist Zufall?«, hakte Denneen nach.
Anna schaute ihr Weinglas an und hob die Schultern. Sie sagte kein Wort. Hatte vielleicht sonst noch jemand Interesse am Tod der Sigma-Leute? Sie konnte jetzt nicht darüber nachdenken und wollte es auch nicht.
»Nimm dir noch von den carnitas«, sagte Ramón.
Als Anna am nächsten Morgen das Bürogebäude in der M Street betrat, wurde sie sofort zu Bartlett zitiert.
»Was haben Sie in Nova Scotia herausbekommen?«, fragte Bartlett. Auf Höflichkeitsfloskeln verschwendete er diesmal keine Zeit.
Da es noch keinen Hinweis auf einen Zusammenhang gab, hatte sie sich entschieden, den Einbruch in ihre Wohnung nicht zu erwähnen. Außerdem hatte sie die leise Befürchtung, dass der Vorfall Bartletts Vertrauen in sie erschüttern könnte. Sie berichtete ihm nur, was eindeutig relevant war: dass sie an der Hand des Alten die Einstichstelle gefunden hatten.
Bartlett nickte nachdenklich. »Was für ein Gift?«
»Die Untersuchungsergebnisse liegen noch nicht vor. Das dauert seine Zeit. Sobald man was findet, werden Sie umgehend unterrichtet.«
»Aber Sie glauben, dass man Mailhot vergiftet hat?« Bartlett machte einen nervösen Eindruck. Als ob er sich nicht entscheiden könnte, ob das nun eine gute oder eine schlechte Nachricht war.
»Ja«, sagte sie. »Und dann das Geld. Vor vier Monaten sind eine Million Dollar auf seinem Konto eingegangen.«
Bartlett runzelte die Stirn. »Von wem?«
»Keine Ahnung. Von einem Konto auf den Cayman Islands.
Dann allerdings verliert sich die Spur. Wahrscheinlich gewaschenes Geld.«
Bartlett hörte wortlos zu. Er war offenbar bestürzt.
Sie fuhr fort. »Ich habe seine Bankauszüge kontrolliert. Zehn Jahre zurück. Jedes Jahr um die gleiche Zeit hat man ihm einen Batzen auf sein Konto überwiesen. Jedes Mal mehr.«
»Vielleicht eine ganz normale Geschäftsbeziehung.«
»Laut seiner Frau waren das Zahlungen eines dankbaren Arbeitgebers.«
»Ein ziemlich großzügiger Arbeitgeber.«
»Ein sehr reicher. Und ein sehr toter. Der Alte hatte fast sein ganzes Leben für einen steinreichen Medientycoon gearbeitet. War so was wie Leibwächter, Faktotum und Laufbursche in einer Person.«
»Für wen?«
»Charles Highsmith.« Anna
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