Das Sigma-Protokoll
anderen Stand verkaufte eine alte Frau Kräuter und Gewürze.
Seit ihrer Ankunft hatte sie noch kein einziges Gringo-Gesicht gesehen. Was ja auch zu erwarten war. Schließlich war Asunción nicht Paris. Der Bus vor ihnen blies stinkende Abgaswolken in die Luft, und irgendwo dröhnte laute Musik.
Allmählich ließ der Verkehr nach, die Straßen wurden breiter und waren jetzt von Bäumen gesäumt. Sie näherten sich anscheinend den besseren Vororten. Auf der Karte, die in ihrer Handtasehe
steckte, hätte sie nachschauen können. Aber warum sollte sie?
Captain Bolgorio hatte gesagt, dass sich das Prosperi-Anwesen in der Avenida Mariscal López befand. Das war im Ostteil der Stadt, und zwar auf der Route zum Flughafen. Die Straße mit den prachtvollen spanischen Kolonialvillen hatte schon das Taxi auf dem Weg zum Hotel genommen.
Doch die Straßen, durch die sie jetzt fuhren, kamen ihr alles andere als bekannt vor. Sie war hier noch nie gewesen.
Sie schaute nach vorn zum Chauffeur. »Wohin fahren wir?«
Er gab keine Antwort.
»Hören Sie«, sagte sie, verstummte aber gleich wieder, als der Fahrer in eine ruhige, kaum befahrene Seitenstraße einbog und am Randstein stoppte. Er drehte sich um und hielt ihr eine große schwarze achtunddreißiger vor die Nase.
O Gott .
Sie hatte keine Waffe dabei. Ihre Dienstpistole lag in der verschlossenen Schreibtischschublade in ihrem Büro. Und ihre Ausbildung in asiatischen Kampfsportarten und Selbstverteidigung nutzte ihr jetzt gar nichts.
»So, jetzt können wir reden«, sagte der Mann. »Sie kommen aus Amerika und wollen dem Anwesen von Senor Prosperi einen Besuch abstatten. Da kann es Sie doch nicht wundern, dass uns das interessiert.«
Anna versuchte Ruhe zu bewahren. Sie musste ihren psychologischen Vorteil nutzen, der darin bestand, dass er nicht wusste, wer sie war. Oder wusste er es?
»Für den Fall, dass Sie von der Drogenfahndung sind, würden sich ein paar Freunde von mir liebend gern mit Ihnen verlustieren... bevor Sie auf unerklärliche Weise für immer verschwinden. Sie wären nicht die Erste. Wenn Sie ein amerikanischer político sind, hätte ich noch ein paar andere Freunde, die sich gern mit Ihnen... sagen wir, unterhalten würden.«
Anna schaute ihm mit einer Mischung aus Gelangweiltheit und Verachtung ins Gesicht. »Sie sprechen immer von Freunden«, sagte sie und wechselte dann in fließendes Spanisch: »El muerto al hoyo y le vivo al bollo.« Tote haben keine Freunde.
»Wollen Sie sich die Art Ihres Todes nicht aussuchen? Ist doch die einzige Wahl, die den meisten von uns bleibt.«
»Diese Wahl werden wohl Sie vor mir zu treffen haben. El que mucho habla, mucho yerra. Sie tun mir wirklich Leid. Ein kleiner Botenjunge, der einen Haufen Mist baut. Sie haben anscheinend wirklich keine Ahnung, mit wem Sie hier spazieren fahren.«
»Sie werden es mir gleich sagen.«
Sie lächelte spöttisch. »Das werde ich sicher nicht tun.« Sie machte eine kurze Pause. »Pepito Salazar würde das nämlich gar nicht gefallen.«
Die Gesichtszüge des Mannes erstarrten. »Was haben Sie da gesagt? Salazar?«
Anna hatte den Namen eines der mächtigsten Kokainexporteure des Kontinents genannt. Eines Mannes, dessen Unternehmungen sogar die der Drogenbarone von Medellin in den Schatten stellten.
Der Fahrer schaute sie misstrauisch an. »Billiger Trick, den Namen irgendeines Fremden fallen zu lassen.«
»Heute Abend in Palaquinto werde ich Ihren Namen fallen lassen«, sagte sie lächelnd. Palaquinto war der Name von Salazars Zufluchtsort in den Bergen. Der Name war nur Insidern bekannt. »Sehr bedauerlich, dass wir uns auf diese Weise kennen lernen mussten.«
Als der Mann antwortete, zitterte seine Stimme. Einem persönlichen Kurier Salazars Ungelegenheiten zu bereiten, konnte einem das Leben kosten. »Man erzählt sich wilde Geschichten von Palaquinto. Goldene Wasserhähne, Springbrunnen voller Champagner...«
»Nur zu besonders festlichen Anlässen. Zu denen Sie wohl kaum je geladen werden.« Sie steckte die Hand in ihre Umhängetasche und nahm den Hotelschlüssel fest in die Hand.
»Sie müssen mir verzeihen«, sagte der Mann hastig. »Die Leute, die mir die Anweisungen gegeben haben, waren anscheinend nicht gut informiert. Wer würde es schon wagen, ein Mitglied aus Salazars engstem Kreis zu belästigen?«
»Pepito ist kein Unmensch. Fehler kommen immer mal vor.« Anna lächelte ihm ermutigend zu. Die achtunddreißiger senkte
sich langsam, worauf Anna
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