Das Sigma-Protokoll
und verbeugte sich knapp. »Und das ist Special Agent Anna Navarro vom amerikanischen Justizministerium.«
»Consuela Prosperi«, entgegnete die Witwe kühl.
»Wir möchten Ihnen unser tief empfundenes Mitgefühl über den Tod Ihres Gatten ausdrücken«, sagte Bolgorio. »Wir werden Ihre Zeit nicht lange in Anspruch nehmen. Nur ein paar kurze Fragen.«
»Gibt es irgendwelche Probleme? Sie wissen doch, dass mein Mann schon lange sehr krank war. Sein Tod war sicher eine große Erlösung für ihn.«
Wie auch für Sie, dachte Anna und sagte: »Wir haben Hinweise, dass ihr Mann möglicherweise Opfer eines Verbrechens geworden ist.«
Consuela Prosperi schaute Anna ausdruckslos an. »Bitte nehmen Sie Platz«, sagte sie. Anna und Bolgorio setzten sich wieder auf das Sofa, und die Witwe ließ sich ihnen gegenüber in einem weißen Sessel nieder. Die straffe Gesichtshaut von Consuela Prosperi war die einer Frau, deren Gesicht man zu oft geliftet hatte. Ihr Make-up war etwas zu orangefarben, ihr Lippenstift glänzte braun.
»Marcel war schon seit Jahren sehr krank. Er war ans Bett gefesselt.«
»Ich verstehe«, sagte Anna. »Wissen Sie vielleicht, ob Ihr Mann Feinde hatte?«
Die Witwe schaute sie mit herrischem Blick an. »Warum sollte er Feinde haben?«
»Senora Prosperi, wir sind über die früheren Unternehmungen Ihres Mannes vollkommen im Bilde.«
Ihre Augen blitzten. »Ich bin seine dritte Frau«, sagte sie.
»Über Geschäfte haben wir nie gesprochen. Ich habe andere Interessen.«
Es war unmöglich, dass die Frau nichts vom Ruf ihres Mannes wusste, dachte Anna. Außerdem schien sich ihre Trauer in Grenzen zu halten.
»Gab es irgendwelche Leute, Señora Prosperi, die ihn regelmäßig besuchten?«
Die Witwe zögerte ganz kurz. »Nicht solange wir verheiratet waren.«
»Ist Ihnen aufgefallen, ob er mal Streit mit seinen internationalen Geschäftspartnern hatte?«
Die Witwe presste die schmalen Lippen zusammen. Auf ihrem Gesicht zeigten sich einige senkrechte Falten.
»Agent Navarro hat nicht die Absicht, unhöflich zu sein«, warf Bolgorio hastig ein. »Sie würde nur gern...«
»Ich weiß sehr gut, was sie gern würde«, erklärte Consuela Prosperi trocken.
Anna zuckte mit den Schultern. »In all den Jahren muss es jede Menge Leute gegeben haben, die Ihren Mann nur zu gern hinter Gittern oder gar tot gesehen hätten. Rivalen, die ihm sein Territorium streitig machen wollten. Verärgerte Geschäftspartner. Das wissen Sie so gut wie ich.«
Die Witwe erwiderte nichts. Anna bemerkte einen feinen Riss in dem orangefarbenen Make-up-Panzer.
»Wie steht’s mit freundlichen Warnern?«, fragte Anna. »Nachrichtendienste, Geheimdienste. Ist er jemals vor möglichen Bedrohungen gewarnt worden?«
»In den neunzehn Jahren unserer Ehe ist mir niemals etwas zu Ohren gekommen«, sagte Consuela Prosperi und wandte sich ab.
»Hat er Ihnen gegenüber jemals die Befürchtung geäußert, dass man ihn verfolgt?«
»Mein Mann hatte sich zur Ruhe gesetzt. Die Geschäfte seiner Autohandelskette hat er nicht selbst geführt. Ganz im Gegensatz zu mir ist er nie jemand gewesen, der gern das Haus verließ.«
»Hat er jemals gesagt, dass er Angst davor hat, außer Haus zu gehen?«
»Es machte ihm einfach keinen Spaß«, sagte die Witwe. »Er blieb lieber zu Hause und las Biografien und Geschichtsbücher.«
Seltsamerweise gingen Anna gerade jetzt Ramóns geflüsterte Worte durch den Kopf. El diablo sabe mas por viejo que por diablo. Der Teufel weiß mehr, weil er alt ist und nicht weil er der Teufel ist.
Anna versuchte es anders. »Die Sicherheitsvorkehrungen auf Ihrem Anwesen sind wohl sehr umfassend?«
Die Witwe lächelte affektiert. »Sie scheinen Asunción nicht sonderlich gut zu kennen.«
»Es gibt viel Armut und Verbrechen in der Stadt, Agent Navarro«, sagte Captain Bolgorio. Er breitete die Hände aus. »Familien wie die Prosperis müssen eben ihre Vorsichtsmaßnahmen treffen.«
Anna ignorierte den Einwurf. »Hatte Ihr Mann in den letzten Wochen seines Lebens überhaupt irgendwelche Besucher?«, fragte sie.
»Nein. Freundinnen von mir sind ziemlich oft im Haus, aber sie sind nie zu ihm nach oben gegangen. In den letzten Jahren hatte er keine Freunde mehr. Er hat nur mich und die Krankenschwestern gesehen.«
Anna schaute sie an. »Wer hat die Schwestern eingestellt?«
»Darum hat sich eine Agentur gekümmert.«
»Kamen immer die gleichen Schwestern?«
»Eine Tages- und eine Nachtschwester. Ja, es waren immer die
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