Das Sigma-Protokoll
seine Theorien erzählt.«
»Hat er jemals etwas über unseren Vater gesagt?«
Sie verzog das Gesicht. »Nur, dass er ein Heuchler und kapitaler Lügner sei. Und dass er kein Überlebender des Holocaust, sondern Mitglied der SS war.« Fast hämisch fügte sie hinzu: »Abgesehen davon, hat Peter ihn natürlich geliebt.«
Ben fragte sich, ob in dieser ironischen Äußerung nicht auch ein Körnchen Wahrheit steckte. »Hör zu, Liesl. Wie kann ich mit deinem Cousin Kontakt aufnehmen? Diesem Rechtsanwalt Denscher?«
»Deschner. Matthias Deschner. Warum willst du das?«
»Warum wohl? Ich will die Urkunde.«
»Schon klar. Ich meinte, warum willst du die Urkunde?«, fragte sie bitter. »Damit sie dich töten?«
»Sicher nicht.«
»Was willst du dann?«
»Ich will die Mörder entlarven.«
Er war überrascht, dass sie nicht mit wütenden Vorwürfen reagierte, sondern ruhig und gelassen. »Du willst seinen Tod rächen?«
»Ja.«
Ihre Augen wurden feucht. Als wollte sie um jeden Preis verhindern, dass sie wieder in Tränen ausbrach, presste sie fest die Lippen zusammen. »Ja«, sagte sie. »Wenn du mir versprichst, dass du vorsichtig bist, dann würde mich nichts glücklicher machen. Schnappe sie, Ben. Lass sie zahlen dafür.« Mit Daumen und Zeigefinger kniff sie sich die Nase zusammen. »Ich muss jetzt nach Hause, Ben.«
Nach außen wirkte sie gelassen, aber Ben spürte, dass sie immer noch große Angst hatte. Sie war eine starke und bemerkenswerte Frau. Auf die man bauen konnte. Ich tu’s für mich und auch für dich, dachte Ben.
»Auf Wiedersehen, Liesl«, sagte Ben und küsste sie auf die Wange.
»Auf Wiedersehen, Ben«, sagte Liesl und machte die Wagentür auf. Sie schaute ihn lange an. »Ja, lass sie dafür zahlen, Ben.«
12. KAPITEL
Asunción, Paraguay
Der sympathische erste Eindruck verflog schnell. Das Taxi vom Flughafen war ein alter klappriger VW Käfer, der röhrte, als hätte er keinen Auspuff mehr. Sie fuhren durch Vororte mit eleganten spanischen Kolonialvillen, bevor sie die verstopfte Innenstadt erreichten, wo sich Autos, Fußgänger und altertümliche gelbe Straßenbahnen durch die von Bäumen gesäumten Straßen quälten. Sie sah einen Mercedes nach dem anderen, mehr als sie außerhalb von Deutschland je gesehen hatte. Wobei ihr klar war, dass die meisten gestohlen waren. In Asunción schien die Zeit in den Vierzigerjahren stehen geblieben zu sein.
Annas Innenstadthotel an der Avenida Colon war klein und schäbig. In ihrem Reiseführer war es mit drei Sternen notiert. Der Autor war offensichtlich geschmiert worden. Der Mann an der Rezeption wurde spürbar freundlicher, als sie ihn in fließendem Spanisch ansprach.
Das Zimmer hatte eine hohe Decke, die Farbe blätterte von den Wänden, und der Lärm war unbeschreiblich, da die Fenster zur Straße gingen. Wenigstens hatte sie ein eigenes Bad. Aber wenn man nicht auffallen wollte, durfte man nicht dort absteigen, wo die Gringos abstiegen.
Sie trank ein agua con gas aus der winzigen Minibar, deren Aggregat kaum die paar Fläschchen zu kühlen vermochte. Dann rief sie das Comisaría Céntrico an-das Polizeipräsidium.
Das war kein offizieller Anruf. Captain Luis Bolgorio gehörte zum Morddezernat der policía von Paraguay und hatte bei einigen seiner Mordfälle von der amerikanischen Regierung Hilfe erhalten. Anna hatte seinen Namen von einem Freund beim FBI
erfahren - inoffiziell. Bolgorio schuldete den Amerikanern einen Gefallen, den er nun erwies.
»Sie haben Glück, Miss Navarro« sagte Captain Bolgorio. »Die Witwe ist zwar noch in Trauer, hat aber nichts dagegen, sich mit Ihnen zu unterhalten.«
»Wunderbar«, sagte Anna. »Danke, dass Sie das für mich arrangiert haben.«
»Sie ist eine sehr wohlhabende und bedeutende Dame. Behandeln Sie sie bitte mit dem gebotenen Respekt.«
»Machen Sie sich keine Sorgen. Wo ist die Leiche?«
»Das gehört zwar nicht zu meinem Zuständigkeitsbereich, aber ich werde veranlassen, dass man Ihnen im Leichenschauhaus keine Schwierigkeiten bereitet.«
»Sehr schön. Danke.«
»Das Haus der Witwe liegt in der Avenida Mariscal López. Nehmen Sie sich ein Taxi - oder ist es Ihnen lieber, wenn ich Sie hinbringe?«
»Ich nehme ein Taxi, danke.«
»Sehr gut. Die Unterlagen, um die Sie mich gebeten haben, sind bei mir. Wann können wir uns sehen?«
Anna rief in der Rezeption an und bestellte ein Taxi, das sie in einer Stunde abholen sollte. Dann nahm sie sich die Akte über das Opfer vor. Allerdings
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