Das silberne Schiff - [Roman]
keine Zeit, mit ihr zu reden, nicht hier. Ich hoffte, dass ihre Rückkehr ein gutes Zeichen war. Vielleicht konnten wir ihren Mut gebrauchen.
Ich blickte mich am Tisch um. Alle hatten helle Haut. Der Grund war vermutlich der Mangel an echtem Sonnenlicht. Der Mann – mit kurzgeschnittenem dunklem Haar und nebelblauen Augen – starrte mich an, als wäre mein Anblick ein Genuss, und eine Träne rann ihm über eine Wange.
Warum?
Diese Gruppe konnte uns dabei helfen, die Babys zurückzubekommen. Caro und Jherrel. Der Gedanke an die beiden gab mir Kraft und Entschlossenheit. Ich schaute mich noch einmal um. Alle Augen waren auf mich gerichtet. »Wer seid ihr alle?«, fragte ich.
Der fremde dunkelhaarige Mann sah meinen Bruder an. »Könnten wir für einen Moment miteinander allein sein?«
Joseph nickte. »Sie scheinen uns zu beobachten.«
»Aber sie haben euch hier draußen angegriffen?« Er blickte zu Kayleen hinüber, die sich aus Bryans Armen gelöst hatte und nun zwischen Bryan und Liam stand. Die drei füllten fast eine Hälfte des kleinen Raumes aus.
»Ein Test«, sagte Joseph.
»Das haben sie noch nie zuvor getan.« Kayleens Stimme klang krächzend und verängstigt.
»Hier drinnen sind wir sicher«, sagte Joseph beruhigend. Dann wandte er sich mir zu, und ein verschmitztes Grinsen spielte um seine Mundwinkel, bevor seine Miene wieder den ernsten Ausdruck des neuen Joseph annahm. Er schien hier das Sagen zu haben. Er nickte der zierlichen dunkelhaarigen Frau zu, die neben ihm stand. Von allen sah sie am seltsamsten aus. Sie trug einen kurzen Haarschnitt und eine strenge weiße Jacke, die denen von Lushia und Ghita ähnelte. »Das ist Dianne. Sie stammt von derselben Welt, von der die Leute mit dem Schiff kommen, das in Artistos gelandet ist.«
»Aus der Autokratie von Islas«, sagte Liam. Er zog Kayleen an sich. »Warum ist sie hier?«
»Sie will helfen.« Joseph blickte auf die anderen beiden Frauen am Tisch, beide dunkelhaarig, eine mit blauen Augen, die andere, deren Stimme mir auf irritierende Weise bekannt vorkam, mit grauen Augen. Joseph verzog wieder die Mundwinkel. »Und das ist Tiala.« Dann wandte er sich der grauäugigen Frau zu. »Und das ihre Schwester Jenna.«
Die Frau musterte mich ruhig, während Josephs Worte mir ins Bewusstsein drangen. Jenna. Aber Jenna war alt! Ich schob mich näher an sie heran und ging in die Knie, um sie mir genauer anzuschauen. Sie hatte Jennas Augen. Ich erkannte die Wahrheit und die Bedeutung ihrer Verwandlung. »Du bist es. Du bist zurückgekehrt. Du … du bist wieder ganz!«
Sie nickte, und plötzlich weinten wir beide. Da sie anders nicht zu ihr gelangen konnte, kletterte Kayleen über den Tisch. »Jenna!« Kayleen nahm meine Hand und blickte in Jennas Augen. »Du kannst uns helfen!«
Joseph räusperte sich. Mir war schwindlig, als wäre ich aus dem Gleichgewicht geraten. Jenna, gesund und vollständig. Zwei Augen. Zwei Arme. Ich blickte mich zu Joseph um und wollte ihn um etwas mehr Zeit mit ihr bitten, doch etwas ließ mich innehalten.
Er wollte, dass ich ihm meine Aufmerksamkeit zuwandte.
Sobald er sie hatte, blickte er auf den Mann, der mich immer noch beobachtete.
Ich hatte ein unbehagliches Gefühl.
»Komm zu mir«, sagte der Mann. »Ich möchte dich berühren.«
Und hinter mir hörte ich Josephs stockende Stimme. »Chelo, das ist unser Vater, David Lee.«
Die Welt blieb für einen Moment stehen. Der Mann mit dem intensiven, fordernden Blick, dieser Mann, der mich beunruhigt hatte, seit ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte, weil etwas Gieriges in seinem Blick lag.
Jetzt verstand ich.
Der Raum schrumpfte zusammen, bis nur noch er und ich da waren. Ich hatte sein kurzes dunkles Haar und die rätselhaften blauen Augen bemerkt, die nun leicht von Tränen verschleiert waren. Obwohl er saß, konnte ich erkennen, dass er denselben Körperbau wie dieser Joseph hatte, der nun neben ihm stand, wie der Mann, zu dem mein kleiner Bruder geworden war. Breite Schultern und schmale Hüften, hohe Wangenknochen und ein rundes Kinn. Ich nahm eine langfingrige Hand in meine. Seine Handfläche und die Fingerkuppen waren etwas rau, aber nicht wie bei einem Farmer oder einem Vagabunden. Ich suchte in seinem Gesicht. In seinen Augen standen Tränen, aber welche Gefühlsregung trieb sie hinaus? Er rührte kaum einen Muskel und wartete auf meine Reaktion.
Ich fand meine Stimme wieder. »Ich … freue mich, dich kennenzulernen.« Ich wollte zu ihm stürmen, ihn
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