Das silberne Schiff - [Roman]
Stimme. »Akashi kann sich nicht gegen den gesamten Stadtrat stellen. Das wäre ein zu großes Risiko für die Sippe.«
Ich räusperte mich. »Letzte Nacht hätten wir sterben können. Hätte Brise mich nicht gewarnt, wären wir nicht mehr rechtzeitig in den Gleiter gekommen. Wenn wir alle hier sterben oder hier festsitzen, ob nun einer von uns oder wir alle, sind wir ihnen keine Hilfe mehr. Wir drei sind nicht genug, um eine neue Stadt zu gründen. Nicht einmal wir sechs. Du warst bei dem Gespräch vor Jahren dabei, und du wolltest bei Paloma in Artistos bleiben.«
»Und ihr wolltet bei mir bleiben.« Sie stand auf, scharrte mit den Füßen und ließ den Kopf hängen, so dass ihr Gesicht nicht zu erkennen war. »Auch ihr habt es nicht mit Nava oder in der Stadt ausgehalten. Dann seid ihr gegangen. Ihr konntet es tun. Ich nicht.«
Ich bemühte mich, nicht an der Wahrheit in ihren Worten zu ersticken. Ja, ich war freiwillig fortgegangen, mit Menschen, die mich liebten, um die alten Wunden heilen zu lassen, und hatte dabei kaum an meine Freundin gedacht. Ich hatte mich auf Paloma verlassen. Als könnte jemand, der nicht zu uns gehörte, uns tatsächlich verstehen. »Du hättest um Hilfe bitten können.«
Kayleen antwortete nicht. Liam trat vor, als wollte er etwas sagen, also hob ich eine Hand, um ihm zu signalisieren, still zu sein. Er hatte sie nicht im Stich gelassen, ich hatte es getan. Es war eine Sache zwischen Kayleen und mir.
Sie stand sehr lange da und starrte über das Feuer hinweg in die Dunkelheit. In der Ferne bellten Dämonenhunde, und Kayleen blinzelte. »Ich möchte bei euch sein«, sagte sie schließlich. Sie schluckte und fuhr sich mit den Händen durch das Haar. »Nur so kann ich mit euch zusammen sein. Ich fühle mich schon viel besser. Na ja, ein kleines bisschen jedenfalls.« Sie sah mich an. »Es hilft mir schon, nicht mehr in Artistos zu sein. Ich möchte, dass ihr mit mir hier sein wollt.«
»Dazu ist es jetzt zu spät.« Ich konnte unmöglich bleiben wollen, ganz gleich, wie groß mein schlechtes Gewissen war, weil ich sie alleingelassen hatte. »Trotzdem liegt mir sehr viel an dir. Aber du bist nicht der einzige Mensch, der mir etwas bedeutet.«
Sie lachte. »Liam ist doch hier!«
Liam trat hinter mir hervor, um Kayleen anzusehen. »Ich möchte nicht hier sein.«
Kayleen reichte ihm gerade bis zum Kinn, und ihr schlanker Körper konnte kaum mehr als die Hälfte von ihm wiegen, aber sie wich nicht vor ihm zurück. »Das weiß ich.« Ihre Stimme zitterte ein wenig. »Ich werde nicht eher zurückgehen, bis ich wieder ich selbst bin. Weißt du, was ich fast getan hätte? Kennst du Klia?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß kaum mehr über sie als ihren Namen.«
»Sie … Klia war mein letzter Strohhalm. Und letztes Jahr weigerte sie sich, mit mir zu reden oder auch nur meine Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen. Aber ich konnte hören, was sie sagte. Ich konnte alle in der Stadt hören, solange sie in der Nähe eines Knotens waren. Also hörte ich, wie die Daten in mir tratschten, wie die ganze Stadt in mir tratschte, und ich konnte es nicht abschalten.« Sie hielt inne und starrte mich an, als wollte sie, dass ich es verstehe.
Wie konnte ich es verstehen? Wie fühlte es sich an, mit so vielen Gesprächen im Kopf zu leben? Trotzdem nickte ich.
Kayleen fuhr fort. »Sie sagte ihrem Vater, der für einen Posten im Stadtrat kandidiert, dass er mich töten sollte. Sie sagte, sie könnten keine Heiligen oder Übermenschen gebrauchen, die ihnen bei irgendetwas helfen, und sie war davon überzeugt, dass ich genauso verrückt wie Bryan werden und irgendwann Leute verprügeln würde. Sie sagte, sie hätte ein paarmal gesehen, wie ich in ihrer Nähe die Hände zu Fäusten geballt habe. Ich sei wie eine Tatzenkatze, die inmitten der Stadt lebt.« Jetzt purzelten die Worte immer schneller aus ihrem Mund. »Er hat Klia geantwortet, dass sie warten sollte, aber er hat nicht nein gesagt. Er hat nicht nein gesagt! In diesem Moment wollte ich sie nur noch töten, zu ihr gehen und ihr die Kehle aufreißen.« Kayleen verstummte, atmete schnell und sah uns beide eine Weile an.
Die Kayleen, mit der ich aufgewachsen war, hätte niemals den Wunsch gehabt, jemanden zu töten. Vielleicht hatte sie sich zu sehr dafür geschämt, um mich um Hilfe bitten zu können.
»Ich habe gejagt«, fuhr Kayleen fort. »Genau wie ihr beiden. Ich habe es niemandem gesagt, aber ich habe es getan. Ich bin aus der Stadt
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