Das silberne Schiff - [Roman]
befinden uns in einem sicheren Netz, das nur nach außen dringen lässt, was wir wollen. Obendrein betrachten mich manche Leute hier als Raubtier.«
Ich zuckte leicht zusammen. Man konnte leicht vergessen, dass Marcus viel mehr sein musste als der spöttische Lehrer.
Aber auch ich war viel mehr, als auf den ersten Blick zu erkennen war. Ich hatte gejagt und ein fast mannsgroßes Djuri mit bloßen Händen zur Strecke gebracht. »Bist du ein Raubtier?«, fragte ich.
Er riss die Augen auf und machte den Eindruck, als würde er an seiner Zunge ersticken, nahm einen tiefen Atemzug – entweder, um eine wütende Bemerkung oder ein lautes Lachen zu unterdrücken. Nachdem er sich wieder beruhigt hatte, wurde seine Stimme ernst. »Ja, aber nur für Leute, die zu viel Macht wollen. Ich glaube nämlich mehr an das Gleichgewicht und die Schönheit der Schöpfung als an die Schönheit der Macht, Joseph. Ich glaube, dass Menschen in der Lage sein sollten, selber zu entscheiden, welche Modifikationen sie wollen, wie sie sein wollen.« Seine grünen Augen schienen Energie abzustrahlen, und er richtete sie genau auf mich, um meine Aufmerksamkeit einzufordern. »Hier gibt es sehr viel Schönheit.« Er schwenkte den Arm und umfasste mit der Geste den gesamten Garten. »Aber wir zwingen manchen Menschen Dinge auf, bevor sie geboren wurden, Dinge, die sie nicht mehr ändern können. Zum Beispiel Flügel oder weitere Arme. Wir spielen zu sehr Gott, und zu schnell, und vielleicht erschaffen wir unseren eigenen Untergang, wenn wir nicht aufpassen. Andere Gesellschaften auf anderen Planeten haben genau das getan, und wir scheinen die Lektionen vergessen zu haben, die wir von ihnen hätten lernen sollen. Hier gibt es mächtige Gruppen, die bereit sind, das langfristige Wohl für einen kurzfristigen Gewinn zu opfern – manche für Macht, manche für Aufmerksamkeit, manche für Dinge, die ich nicht verstehe.«
Das klang sehr komplex. Auf Fremont bemühte man sich, nichts zu verändern, und man hasste uns, weil wir anders waren. Hier machte man die Menschen gewollt anders. In beiden Fällen ging es um Kontrolle. Ich erschauderte, obwohl die Temperatur sehr angenehm war.
Er beobachtete mich aufmerksam. »Manchmal tue ich Dinge, die den Status quo stören.« Dann hielt er inne, als ihm offenbar bewusst wurde, wie intensiv das klang. Gleich darauf schüttelte er sich, als wollte er starke Empfindungen loswerden. Seine Stimme verlor das Feuer und wechselte in den ruhigen Tonfall eines Vortragenden. »Am meisten Spaß macht es, Politiker und Verwaltungsbeamte zu irritieren, weil sie am meisten Unheil anrichten können. Sie brauchen Leute, die sie auf Trab halten.«
Ich erinnerte mich, wie ich Marcus begegnet war. »Aber manchmal arbeitest du für offizielle Stellen.«
»Es gibt manche Dinge, die nur ich tun kann. Und bei einigen dieser Dinge macht es mir nichts aus, sie zu tun.«
»Dann sag mir noch einmal, warum du mich ausbildest.«
»Eigentlich hättest du nicht in der Lage sein dürfen, das zu tun, was du getan hast – allein zu lernen, wie man den Wind liest oder ein Schiff fliegt. Nicht ohne verrückt zu werden. Aber du hast es geschafft. Das deutet darauf hin, dass du ein gutes Gleichgewicht in dir hast. Du faszinierst mich.« Dann lachte er. »Außerdem werde ich dafür bezahlt.«
»Ich habe nicht vergessen, dass es für dich ein Job ist«, platzte es aus mir heraus. Wir verfielen in Schweigen, und ich dachte über die anderen Dinge nach, die er gesagt hatte. »Ich bin im Ungleichgewicht«, sagte ich etwas sanfter. »Ich kann mich nicht einmal hier den Daten öffnen – es würde mich umbringen.«
Er legte mir die Hände auf die Schultern und blickte mir in die Augen. »Wenn du hart arbeitest, werde ich dir die Augen für die Schönheit der Schöpfung öffnen.«
»Ich will lernen.«
Er ließ die Arme sinken. »Setz dich.« Nachdem ich mich auf die kühle Steinbank gesetzt hatte, fuhr er fort. »Lehn dich zurück, schließ die Augen, und spüre den Garten.«
Ich atmete einmal tief durch und öffnete mich. Daten strömten herein, über Temperatur, Luftzusammensetzung, Druck, die vorhandenen Pflanzen. Schon nach zwei Atemzügen war es zu viel für mich. Mein Magen drehte sich um, und mein Schädel schmerzte. Ich öffnete die Augen und suchte nach Marcus.
Er schien sich Mühe zu geben, nicht zu lachen. »Hör beim nächsten Mal aufmerksamer zu. Ich habe nicht gesagt, dass du mit den Daten des Gartens reiten sollst, sondern dass
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