Das silberne Schiff - [Roman]
die Bäume in Sträucher übergingen, schlugen wir einen ganz anderen Kurs ein und hielten auf den Grat zu, der den Hochweg vom Kleinen Samtsee trennte. An der höchsten Stelle machten wir eine kurze Pause und keuchten von der Anstrengung des Rennens und Kletterns.
Liam legte einen Arm um mich und hielt mich fest. Sein Atem ging nur ein wenig schneller als sonst. »Ich liebe es, hier draußen zu sein, nur mit dir und der Wildnis.«
Ich lachte ihn an, und mein Gesicht war nicht nur vom Laufen erhitzt. »Wir sind doch ständig in der Wildnis.«
Er schüttelte den Kopf. »Vielleicht fühlt es sich so an, weil wir Artistos verlassen haben. In der Stadt habe ich mich nie wohlgefühlt.«
Unter uns standen zwei knorrige Zwillingsbäume, einer deutlich größer als der andere, die wie ein Liebespaar umeinander verschlungen waren. Liam beugte sich herab und küsste mich. Ich erwiderte den Kuss feurig und heftig. Eine verlockende Ablenkung.
Aber die Höhle rief. Ich zog mich behutsam zurück und blickte zu ihm auf. »Lass uns weitergehen.«
Wir näherten uns der Höhle von oben und sprangen hinunter. Meine Füße brannten, als ich auf dem glatten Boden landete. Ich griff auf den Vorsprung, wo wir unsere Taschenlampen aufbewahrten.
Meine Finger stießen ins Leere.
» Ich habe sie.«
Kayleen stand im schattigen Eingang der Höhle. Das Sonnenlicht berührte ihr Gesicht, und Dunkelheit füllte die Leere hinter ihr aus. Sie stand mit gespreizten, steifen Beinen da, ihr dunkles Haar umrahmte ordentlich gekämmt ihre Züge. Das Dunkelblau ihrer Augen schimmerte fast schwarz, ein wilder Kontrast zu ihrer ungewöhnlich gepflegten Erscheinung. Ihre Stimme passte eher zu ihrem Haar als zu ihren Augen. Sie klang viel zu süß für Kayleen, als würde sie einen Text vortragen, den sie immer wieder geübt hatte. »Hallo. Ich wusste, dass ihr herkommen würdet. Ich wollte in Ruhe mit euch reden. Es tut mir leid, dass ich letzte Nacht so unfreundlich war.«
Liam hockte sich im Schneidersitz auf den Boden, wie er es manchmal tat, wenn er zu einem ungezogenen Kind sprach. Kayleen reagierte darauf genauso, wie es die Kinder taten, indem sie sich ebenfalls setzte, recht nahe, aber ihm gegenüber. Auch ich nahm Platz, so dass wir ein schiefes Dreieck auf dem Höhlenboden bildeten. Ich sah sie blinzelnd an und war mir nicht sicher, was ich sagen sollte. »Tut mir leid«, sagte ich schließlich. »Mir liegt sehr viel an dir, und ich habe nach dir gesucht, weil ich dich nirgendwo gesehen habe.«
Erst jetzt blickte sie mich an. »Vermisst du mich wirklich?«, fragte sie.
»Natürlich.« Wie konnte sie das in Frage stellen?
Ihre Stimme war gleichmäßig und sanft, aber kühl. »Das glaube ich nicht. Diesmal hast du am ersten Tag eurer Ankunft überhaupt nicht nach mir gesucht.«
»Ich musste mithelfen, alles für den Markttag aufzubauen. Ich habe den ganzen Tag nach dir Ausschau gehalten.«
»Ihr liebt euch. Das sehe ich in euren Augen.« Sie wandte Liam den Blick zu, und die Wildheit in ihren Augen nahm einen sehnsüchtigen Ausdruck an. Für einen Moment sah sie genauso verletzlich wie ein Gebrababy aus, bevor es zum ersten Mal auf eigenen Beinen stand. Ich kämpfte einen Schwall glühender Eifersucht zurück.
Ich hatte es mit Kayleen zu tun, und ich liebte sie. Aber ich war nicht bereit, ihretwegen mein Glück aufzugeben.
Sie wandte den Blick von Liam ab und starrte auf den glatten und fast formlosen Höhlenboden. Ihre Worte kamen leise und schnell. »In diesem Frühling bin ich alle paar Nächte hier heraufgekommen. Wir können nicht Jahre damit zubringen, alles zu lernen. Ich muss tun, was Hunter und Nava und die übrigen Ratsmitglieder von mir verlangen, und nicht einmal Mutter hilft mir dabei, etwas daran zu ändern. Sie sagt, wir leben in Frieden und sollten ihn bewahren.« Sie sah mich an. »Ich habe es satt, Navas Sklavin zu sein.«
Liam beugte sich vor und legte Kayleen eine Hand auf die Schulter. »Niemand hat dich gesehen, wenn du hierhergekommen bist?«
Sie schnaufte. »Ich kann die Netze manipulieren, so dass jeder, der sich die Aufzeichnungen ansieht, mich in Artistos beobachten kann, während ich in Wirklichkeit hier bin. Ich komme ständig hierher.«
Ich bemühte mich, nicht erschrocken zu reagieren. Kayleen hatte nie etwas Böses getan. »Das ist gefährlich«, warnte ich.
Sie warf mir einen missbilligenden Blick zu. »Ich bin sehr vorsichtig.«
Liam ließ die Hand fallen, lehnte sich zurück und wechselte das
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