Das silberne Zeichen (German Edition)
sie rasch an sich, sie presste ihr Gesicht gegen seine Schulter und schluchzte heftig.
«Ich vermute, er will sich an ihr rächen, weil sie seinen Antrag abgelehnt hat.» Die Sorge war der Stimme des Domherrn deutlich anzuhören.
«Seinen Antrag?» Bardolf runzelte verwirrt die Stirn. «Von wem reden wir hier eigentlich?»
«Gort Bart», antwortete van Oenne grimmig. Er wandte sich an seinen Schreiber. «Weiland, lauf zum Stiftshaus. Wir brauchen mehr Männer. Sie sollen jeden Winkel vor und hinter den Stadttoren nach ihm absuchen. Und gib auch in der Acht Bescheid. Wir benötigen Soldaten zur Verstärkung.»
«Aber Herr!» Geruscha zupfte aufgeregt am Ärmel seines Mantels. «Herr, Ihr irrt Euch!»
«Was?»
«Es ist nicht Gort Bart.»
«Nicht Gort Bart?» Bardolf zog sie mit einem Ruck zu sich herum. «Wer dann?»
Die Magd holte tief Luft. «Es ist Leynhard.»
***
«Das ist Wahnsinn!», protestierte Jolánda und ging in dem kleinen Schreibzimmer in der Acht nervös auf und ab. «Warum ergreift Ihr ihn nicht einfach, wenn er wieder hier auftaucht? Bindet ihn aufs Rad oder was auch immer. Ihr habt doch diese fürchterlichen Werkzeuge in Euren Folterkammern. Benutzt sie, um diesen Abschaum zum Reden zu bringen.»
«Beruhigt Euch, Frau Jolánda.» Bruder Weiland legte ihr fürsorglich einen Arm um die Schultern. «Ich verspreche Euch, es wird alles getan, um Eure Tochter aus der Gewalt dieses Mannes zu befreien. Ein wenig Geduld noch. Die Vorgehensweise, die sich Bruder Jacobus und Herr van Oenne ausgedacht haben, ist viel sicherer, als Ihr glaubt. Wichtiger noch – sie könnte Eurer Tochter das Leben retten. Wenn wir Leynhard einfach festnehmen lassen, ist es nicht sicher, ob er uns verrät, wo er sie versteckt hält und ob sie überhaupt noch lebt.»
Jolánda rang entsetzt nach Atem.
In gleichbleibend beruhigendem Ton redete der Augustiner auf sie ein: «Nach allem, was wir bisher wissen, ist Leynhard entweder ein gänzlich kaltblütiger Mörder und Lügner, oder aber er ist verrückt geworden, gar besessen. Beides ist, wie Ihr Euch denken könnt, äußerst gefährlich. Solange wir nicht wissen, woran wir bei ihm sind, sollten wir äußerst vorsichtig vorgehen, nicht wahr? Jacobus von Moers könnt Ihr vertrauen. Er ist ein sehr erfahrener Inquisitor, das versichere ich Euch.»
Jolánda presste kurz die Lippen zusammen und rang mit sich. «Aber was», fragte sie, «was ist, wenn sein Plan nicht aufgeht?»
«Daran dürft Ihr nicht denken», antwortete Bruder Weiland und hob den Kopf, als sich die Tür öffnete und ein weiterer Augustiner den Kopf hereinstreckte. «Weiland, es geht gleich los», sagte er. «Die Prozession macht sich auf ihren Weg.»
«Gut.» Bruder Weiland nickte. «Etwas Neues vom Büchel?»
Der Mönch schüttelte den Kopf. «Noch nicht. Aber alle sind bereit und auf ihrem Posten.»
***
Nervös lief Geruscha in der Küche umher und nagte an ihren Fingernägeln. Worauf hatte sie sich nur eingelassen? Dieser Bruder Jacobus, den der Domherr van Oenne nach ihrem Bericht hatte herbeiholen lassen, war ein beeindruckender Mann. Sie hatte sofort Vertrauen in seinen Plan gefasst, obgleich er jetzt im Nachhinein irrwitzig klang. Aber er hatte ihr – und auch allen anderen – glaubhaft versichert, dass es so sicherer war. Würden sie Leynhard einfach ergreifen, sobald sie ihn fanden, konnte es sein, dass Frau Marysa in Lebensgefahr geriet. Falls sie überhaupt noch lebte. Geruscha betete dafür aus tiefstem Herzen. Leynhard, so hatte der Inquisitor ihnen erklärt, war höchstwahrscheinlich verrückt. Mit solchen Menschen konnte man nicht vernünftig reden oder ihnen drohen wie normalen Leuten. Womöglich ließ er sich sogar foltern oder gar hinrichten, ohne zu verraten, wo er Marysa versteckt hielt. Also mussten sie ihm auf andere Weise beikommen. Und ausgerechnet sie – Geruscha – sollte dabei die Hauptrolle übernehmen!
Nun war sie ganz allein im Haus. Alle anderen hatten sich zu dieser Prozession begeben. Zumindest sollte sie das behaupten, wenn Leynhard von seinem Botengang zum St. Adalbertstift nach Hause kam. Falls er kam. Der Inquisitor war fest davon überzeugt gewesen.
Geruscha trat ans Küchenfenster und lugte vorsichtig hinaus. Der Hof lag verlassen da. Irgendwo, so hatte Bruder Jacobus versprochen, hielten sich Männer versteckt. Nur zur Sicherheit. Sie konnte niemanden sehen. Auch auf der Straße war alles ruhig, davon hatte sie sich vorhin überzeugt. Selbst die Nachbarn
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