Das silberne Zeichen (German Edition)
dürfte die Theorie des Dompfaffen entkräften, nicht wahr?»
«Ja.» Der Schöffenmeister kräuselte die Lippen. «Aber wenn Gort es nicht war … wer dann?»
34. KAPITEL
«Herr? Herr! Bitte wartet!» So schnell sie konnte, humpelte Geruscha auf Rochus van Oenne zu, der zusammen mit Bruder Weiland auf halbem Wege den Büchel hinauf zu Marysas Haus war.
Die beiden Männer blieben stehen und blickten der aufgeregten Magd überrascht entgegen. «Was willst du, Mädchen?», fragte Bruder Weiland an van Oennes Stelle und musterte zuerst missbilligend Geruschas zerzaustes Haar und dann ihre nackten, blutigen Füße.
Außer Atem blieb sie vor ihnen stehen und hielt sich keuchend die Seiten. «Hoher Herr, Ihr müsst mir helfen!»
«Dir helfen?» Wieder war es Bruder Weiland, der die Frage stellte. Er hob vielsagend die Augenbrauen. «Mädchen, du weißt offenbar nicht, wen du vor dir hast.»
«Lass sie, Weiland», unterbrach van Oenne ihn und machte einen Schritt auf Geruscha zu. «Bist du nicht Frau Marysas neue Magd? Was willst du, und wo kommst du jetzt her?»
Geruscha bemühte sich, ruhiger zu atmen. «Ich bin Geruscha, Herr. Bitte, Ihr müsst helfen. Er hat sie mit einem Dolch bedroht und vor die Stadttore gebracht. Wohin, weiß ich nicht. Ich hab sie verfolgt, aber dann waren sie plötzlich weg, und ich konnte nicht …»
«Halt!» Der Domherr packte das Mädchen an den Schultern. «Was sagst du da? Du hast gesehen, wie er Frau Marysa entführt hat? Wann war das? Warum hast du nicht Alarm geschlagen?» Er schüttelte sie leicht.
Geruscha begann zu weinen. «Verzeiht, Herr, ich wollte um Hilfe rufen, aber er hatte dieses Messer. Ich hatte Angst, er würde sie töten, wenn ich … Das war heute Nacht. Bitte, wir müssen sie finden. Meiner Herrin darf nichts geschehen.» Sie schluchzte leise. «Was will er denn überhaupt von ihr?»
«Sich rächen», murmelte van Oenne. «Verflucht, ich hatte recht! Weiland, gib im Hause Markwardt schon einmal Bescheid, dass wir da sind. Wir müssen sofort handeln!»
Der Schreiber nickte und rannte los. Da Geruscha sich kaum noch auf den Füßen halten konnte, stützte van Oenne sie und ging mit ihr etwas langsamer auf Marysas Haus zu. Kaum hatte er es erreicht, flog die Tür bereits auf, und Bardolf, Jolánda sowie Milo und Jaromir kamen herbeigeeilt.
«Wo ist sie?», schrie Jolánda Geruscha verzweifelt an und schüttelte sie ebenfalls heftig. «Sprich schon, Mädchen. Wohin hat der Bastard sie gebracht?»
«Beruhige dich.» Bardolf zog sie sanft, aber bestimmt von Geruscha fort. «Lass das Mädchen erst mal verschnaufen. Siehst du nicht, dass sie vollkommen erschöpft ist.» Er trat nun selbst auf die Magd zu und berührte sie am Arm. «Was ist geschehen, Geruscha? Bruder Weiland sagt, du hast gesehen, wie Marysa entführt wurde? Wohin hat er sie gebracht?»
«Ich weiß nicht.» Geruscha wischte sich vergeblich mit dem Handrücken über die Augen. Die Tränen rannen ihr weiterhin über die Wangen. «Sie sind zum Ponttor hinaus und …»
«Zum Ponttor?», unterbrach Jolánda sie entsetzt. «Das ist nachts doch verschlossen. Wie kann er da …»
«Die Mannpforte war offen», antwortete Geruscha hastig.
«Vielleicht hat er den Wächter bestochen», vermutete Bardolf erbost.
Van Oenne nickte. «Das sollen die Schöffen überprüfen. Wenn es so sein sollte …» Er ließ den Satz unvollendet und wandte sich wieder Geruscha zu. «Sprich weiter, Kind!»
Zitternd atmete Geruscha ein. «Ich bin ihnen nach, weil ich jedoch erst nicht wusste, dass sie durch das Tor sind, hab ich sie aus den Augen verloren. Aber das hier hab ich gefunden.» Sie zog Marysas kleine, bestickte Geldkatze unter ihrem Kleid hervor.
Jolánda griff danach. «O Gott!», rief sie entsetzt, schloss kurz die Augen und krampfte ihre Finger um die Börse. «Marysa! Was will er von meinem Kind? Warum hat er sie entführt?»
Bardolf stieß Geruscha leicht an. «Was noch, Mädchen?»
Schluchzend senkte Geruscha den Kopf. «Mehr weiß ich nicht. Ich hab gesucht und gesucht, sie aber nicht finden können.» Erneut rieb sie sich über die Augen. «Er will ihr doch nichts antun, oder?»
Jolánda stieß einen erstickten Laut aus.
Mittlerweile waren die Nachbarn auf sie aufmerksam geworden. Immer mehr Menschen drängten sich um die kleine Gruppe.
Der Domherr legte Jolánda eine Hand auf den Arm. «Ich fürchte, wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen», sagte er.
«Nein!», rief Jolánda.
Bardolf zog
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