Das silberne Zeichen (German Edition)
stapfte Milo wieder voran, und Marysa fragte sich nicht zum ersten Mal, wie viel ihr junger Knecht wohl von jenen Ereignissen im vergangenen Herbst verstanden haben mochte. Sie argwöhnte, dass er zumindest ahnte, dass Christoph Schreinemaker und der Dominikaner Christophorus ein und dieselbe Person waren. Immerhin wusste er von den Schnitzereien, die Christoph heimlich für sie angefertigt hatte. Doch bisher hatte er nie ein Wort darüber verloren. Marysa war ihm dankbar dafür, zugleich aber besorgt. Milo trug sein Herz normalerweise auf der Zunge. Sie hoffte, dass er ein Geheimnis auch langfristig würde bewahren können – vor allem gegenüber seiner Familie und seinem besten Freund Jaromir. Nicht, dass Marysa ihrem übrigen Gesinde nicht traute – im Gegenteil! Es waren allesamt treue Seelen, doch je weniger Menschen von Christophs gefährlichem Plan wussten, desto besser.
«Da wären wir, Herrin.» Milo pochte heftig an die Haustür und trat dann einen Schritt beiseite, damit sie als Erste eintreten konnte.
Der alte Grimold ließ sie ein und nahm ihr eifrig den nassen Mantel ab. «Herrin, Ihr hättet bei diesem Wetter nicht draußen herumlaufen sollen», schalt er freundlich. «Eure wohledle Frau Mutter hätte gewiss ein Gästebett für Euch frei gehabt.»
«Das hätte sie.» Marysa ging durch die Werkstatt in Richtung Küche, denn dort war vermutlich auch jetzt noch gut geheizt. «Aber ich schlafe lieber in meinem eigenen Bett.» Beiläufig drehte sie sich zu dem alten Knecht um. «Ist etwas vorgefallen, seit ich zu meinen Eltern gegangen bin?»
Bedauernd schüttelte Grimold den Kopf. «Nein, Herrin, alles ruhig.»
«Gut. Ich werde kurz mit Balbina sprechen – ist sie noch wach?»
Grimold nickte.
«Und dann werde ich zu Bett gehen.» Entschlossen, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, betrat sie die Küche, in der die beleibte und rotwangige Köchin gerade dabei war, einen großen Topf mit Sand zu scheuern. «Guten Abend, Balbina», grüßte Marysa und trat an den großen gemauerten Herd, in dem noch ein Rest Glut die erhoffte Wärme verströmte. Dankbar hielt Marysa ihre Hände darüber.
«Herrin.» Balbina nickte ihr lediglich zu und schrubbte dabei unvermindert weiter.
«Wir müssen in den nächsten Tagen zum Markt», sagte Marysa. «Die Auswahl an Speisen wird während der Fastenzeit ein wenig eintönig, wenn wir uns nicht etwas überlegen.»
Balbina lächelte. Sie kannte ihre Herrin und deren Vorliebe für ausgesuchte Speisen. «Woran hattet Ihr denn gedacht?»
Auch Marysa schmunzelte. «Weißt du, wir hatten eine so hervorragende Apfelernte im vergangenen Herbst. Wie wäre es, wenn du uns für die kommenden Tage etwas Fruchtiges zubereitest. Apfelküchlein vielleicht oder …»
«Krapfen», schlug Balbina vor. «Wir haben noch einen kleinen Sack Rosinen, den Herr Scheiffart Euch geschickt hat, bevor er …»
«Ah ja, richtig, die Rosinen.» Marysa nickte und bemühte sich, nicht an den toten Domherrn zu denken. Noch immer sah sie sein bleiches Gesicht und seine schlimmen Verwundungen vor sich – immerhin war er in ihrer Gegenwart gestorben. «Du könntest sie in Wein einlegen und mit Zimt würzen.»
«Zimt ist leider keiner mehr da», erwiderte Balbina bedauernd. «Und bei den Preisen, die die Händler derzeit verlangen …»
«Ich werde welchen besorgen», unterbrach Marysa sie. «Für die letzten Reliquienverkäufe nach Ungarn habe ich noch zwei Wechsel einzulösen. Die Summe sollte ausreichen, um die eine oder andere Zimtstange erwerben zu können. Ich werde …» Sie hielt inne. «Ja, Milo, was gibt es?»
Der junge Knecht hatte vorsichtig den Kopf zur Tür hereingestreckt und trat nun ganz ein. «Entschuldigt, Herrin, wenn ich störe. Ich möchte Euch gern etwas fragen. Es ist wegen Imela.»
«Imela?» Erstaunt hob Marysa den Kopf. «Was ist mir ihr?»
Milo druckste ein wenig herum. «Also, ähm, es ist so … Imela hilft doch Balbina jetzt immer in der Küche.»
«Und?» Marysa musterte ihren Knecht fragend. «Hat sie dir versalzene Suppe vorgesetzt?»
Um Milos Mundwinkel zuckte es. «Nein, Herrin, bestimmt nicht. Es ist vielmehr … Na ja, braucht Ihr nicht noch eine Magd, wenn Imela sich nicht mehr wie sonst um alles kümmern kann? Fita ist ja jetzt auch nicht mehr da und …»
Nun verstand Marysa. «Wen möchtest du mir gerne vorstellen, Milo? Deine Schwester Nese ist noch ein bisschen jung, oder? Außerdem arbeitet sie schon als Wäscherin, wenn mich
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