Das silberne Zeichen (German Edition)
«Kein Wort, Herr van Oenne. Sprachen wir nicht gerade von den hübschen Amuletten, die Frau Marysa Euch hat schicken lassen?»
«Ganz recht. Der Ausdruck hübsch ist jedoch meiner Meinung nach stark untertrieben. Vorzüglich möchte ich die Arbeiten nennen. Und die Fassung für die Silberzeichen ist akkurat gefertigt. Sieh her, das Abzeichen passt haargenau und wird von den Rändern festgehalten. Es kann nicht herausfallen, außer …» Van Oenne hielt inne, als es an der Tür klopfte.
Ein Augustinermönch betrat das Schreibzimmer. «Herr van Oenne, verzeiht, dass ich Euch störe. Graf Seibold van der Haaren besteht darauf, sofort mit Euch zu sprechen. Ich habe ihm gesagt, dass Ihr beschäftigt seid, aber er wirkt sehr erregt. Anscheinend geht es um das Amulett, dass Ihr ihm verkauft habt.»
Van Oenne hob seine Brauen. «Lass ihn vor, Bruder Alswin. Graf Seibold ist ein guter Freund. Für ihn habe ich immer Zeit.»
***
Marysa war gerade auf dem Heimweg vom Markt, wo sie zusammen mit Jaromir einige Einkäufe erledigt und den seltenen Zimt erworben hatte. Das wertvolle Gewürz trug ihr Knecht nun unter seinem Gewand und schützte es somit vor den Blicken möglicher Diebe. Sie gingen hintereinander den Büchel hinauf, als Jaromir plötzlich stehen blieb. «Herrin, da steht ein Trupp Männer vor Eurem Haus. Einer von ihnen ist der Domherr van Oenne vom Marienstift.»
Auch Marysa blieb stehen und blickte verwundert an ihrem Knecht vorbei. «In der Tat. Zwei Schöffen sind ebenfalls dabei und ein Büttel.» Sie setzte sich wieder in Bewegung. «Lass uns sehen, was die Männer zu mir führt.»
Als sie ihr Haus wenig später erreichte, hatten die Männer sie bereits entdeckt. Van Oenne trat ihr entgegen. «Frau Marysa, wir müssen mit Euch sprechen», sagte er in einem ernsten Ton, den sie von ihm nicht kannte.
Neugierig und zugleich etwas argwöhnisch blickte sie von van Oenne zu den beiden Schöffen. «Dann möchte ich Euch bitten, mir ins Haus zu folgen», antwortete sie förmlich. «Dort dürfte es sich weit angenehmer sprechen lassen als hier draußen in der Kälte. Herr van Eupen, Herr Volmer.» Sie nickte den beiden Schöffen zu. Nachdem sie die Männer in ihre Stube geführt und ihnen Wein angeboten hatte, wandte sie sich wieder an van Oenne. «Was führt Euch also zu mir? Ihr wirkt besorgt. Ist etwas geschehen?»
«Das kann man wohl sagen», antwortete der Schöffe Wolter Volmer an van Oennes Stelle. Er war ein vierschrötiger Mann mit dunkelgrauem Haar und ebensolchem Bart. Marysa kannte ihn flüchtig, da er mit ihrem Vater hin und wieder Geschäfte gemacht hatte. «Ihr seid angeklagt worden, falsches Silber für echtes ausgegeben und verkauft zu haben, Frau Marysa.»
«Wie bitte?» Entgeistert starrte sie ihn an.
Van Oenne räusperte sich vernehmlich. «Ich bitte Euch, Meister Volmer, haltet Euch bedeckt. Diese Anschuldigung entbehrt jeglicher Grundlage, wie Ihr wisst.» Er wandte sich mit einem begütigenden Lächeln an Marysa. «Verzeiht die unbedachten Worte des Schöffen. Selbstverständlich steht Ihr keineswegs unter einer Anklage.»
«Herr van Oenne, aus diesem Grund sind wir doch hier», widersprach Volmer aufgebracht. «Es dürfte vor allem in Eurem Interesse sein, wenn wir die Angelegenheit umgehend …»
«Die Angelegenheit», schnitt van Oenne ihm das Wort ab, «würde ich gerne auf meine Weise regeln.» Wieder lächelte er Marysa entschuldigend zu. «Meine Liebe, es tut mir leid. Euch dürfte bekannt sein, dass die Zusammenarbeit zwischen Schöffen und Marienstift nicht ganz einfach ist. Zwar arbeitet Eure Werkstatt in unserem Auftrag, jedoch fallt Ihr als Aachener Bürgerin in den Zuständigkeitsbereich des Rates, also …» Er zuckte mit den Schultern.
Marysa blickte die Männer zunehmend verwirrt an. «Worum geht es überhaupt? Gefälschtes Silber?»
«Versilbertes Messing», bestätigte van Oenne. «Kürzlich habe ich eines der Amulette, die Ihr für uns fertigt, an einen guten Freund verkauft. Es enthielt, wie wir dachten, eines der silbernen Pilgerzeichen. Nun stellte sich jedoch heraus, dass es sich bei dem Abzeichen keineswegs um reines Silber handelt, sondern lediglich um versilbertes Messing. Ihr, oder besser gesagt Eure Gesellen, haben die Zeichen von uns erhalten, um sie in die Amulette einzupassen, nicht wahr?»
Mit mulmigem Gefühl nickte Marysa. «Ich habe sie selbst entgegengenommen.»
«Seht Ihr, und genau das ist der Punkt», fuhr nun der andere Schöffe, Reimar
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