Das silberne Zeichen (German Edition)
nicht alles täuscht.»
«Ähm, nicht meine Schwester, Herrin, sondern meine Base Geruscha. Sie ist die Tochter der Schwester meiner Mutter. Wisst Ihr, sie ist ein nettes Mädchen und fleißig. Aber ihre Eltern können sie nicht verheiraten, deshalb muss sie sich langsam eine Stellung suchen. Und da dachte ich …»
«Warum können sie sie nicht verheiraten?», wollte Marysa wissen.
Milo hob die Schultern. «Sie hat neun lebende Geschwister, Herrin. Da reicht das Geld nicht mal zum Leben. Sie können sich keine Mitgift leisten. Na ja, und dann, ähm …»
«Was?», hakte Marysa nach, als sie merkte, wie Milo rot anlief. «Stimmt etwas nicht mit ihr?»
«O doch, alles stimmt mit ihr», beteuerte er hastig. «Sie ist, wie gesagt, lieb und auch hübsch und arbeitet hart, wenn es sein muss. Es ist nur … sie ist vor zwei Jahren mal einer Bande Söldner in die Hände gefallen, wisst Ihr. Das war kurz vor der Heiltumsweisung. Und die Kerle haben sie …» Die Röte auf seinen Wangen vertiefte sich noch. «Ich soll Euch das eigentlich gar nicht sagen. Aber Geruscha braucht wirklich eine Anstellung. Ohne Geld will sie ja kein Mann nehmen. Die meisten wissen, was mit ihr passiert ist. Wer will schon eine Frau, die von solchen Kerlen geschändet wurde? Da müsste man ordentlich was zahlen.»
Marysa runzelte die Stirn. «Wie alt ist sie?»
«Achtzehn Jahre wird sie im Sommer.» Milo hob hoffnungsvoll den Kopf. «Nehmt Ihr sie?»
«Das weiß ich noch nicht, Milo.» Abwehrend hob Marysa eine Hand. «Sag ihr, sie soll in den nächsten Tagen bei mir vorsprechen. Ich möchte sie erst einmal sehen, bevor ich eine Entscheidung treffe.»
«Ich sag es ihr gleich morgen!» Erleichtert grinste Milo. «Bestimmt werdet Ihr mit Geruscha zufrieden sein.» Damit verließ er die Küche.
«Das werden wir sehen», murmelte Marysa.
«Ihr seid zu gutmütig», sagte Balbina und stellte den inzwischen sauberen Topf auf seinen Platz in dem großen Küchenregal. «Das Mädchen kann einem zwar leidtun, aber ob sie hier so gut aufgehoben ist?»
«Kennst du sie?»
Balbina nickte. «Ein hübsches Dingelchen, da hat Milo recht. Seit ihr das … damals passiert ist, ist sie ganz still und in sich gekehrt. Ein richtiges verhuschtes Mäuschen. Dagegen könnte man unsere Imela als geradezu lebhaft bezeichnen.»
Marysa lächelte amüsiert. Imela war jetzt etwa sechzehn Jahre alt und schon immer ein sehr zurückhaltendes Mädchen gewesen. «Wir werden sehen, Balbina. Wenn ich diese Geruscha einstelle, dann gewiss nicht, damit sie sich das Maul zerreißt. Zum Arbeiten muss man nicht viel reden, oder?» Sie ging zur Tür. «Wenn es ihr bisher so schlimm ergangen ist, dürfte es ein Werk der Nächstenliebe sein, sie zumindest einmal zur Probe einzustellen. Und nun gute Nacht, Balbina.»
4. KAPITEL
«Ausgezeichnet, wie ich schon sagte», befand Rochus van Oenne und reichte seinem Schreiber, Bruder Weiland, eines der Amulette, die er von Marysas Gesellen Leynhard erhalten hatte. «Schade nur, dass die Schnitzereien nicht noch aufwendiger gestaltet sind. Offenbar müssen wir uns, was das angeht, ein Weilchen gedulden. Frau Marysa konnte mir nicht mit Sicherheit sagen, wann ihr künftiger Gemahl in Aachen eintreffen wird.»
«Um diese Jahreszeit ist das Reisen gefährlich», warf Bruder Weiland ein. «Vielleicht wartet er besseres Wetter ab. Der Schnee liegt hoch und …»
«Das wäre möglich», bestätigte van Oenne. «Allerdings bin ich mir nicht ganz sicher, ob es Frau Marysa recht sein kann, wenn er sie noch länger warten lässt.»
«Ihr meint, weil die Frist, während deren sie die Werkstatt weiterführen darf, bald ausläuft?», fragte Bruder Weiland. «Es dürfte doch kein Problem sein, eine kleine Verlängerung zu erwirken. Immerhin ist sie ja mit einem passenden Handwerker verlobt. Außerdem ist ihr Vetter nun der oberste Zunftgreve. Der wird sicher etwas für sie tun können.»
«Meister Schrenger?» Van Oenne schüttelte den Kopf. «Der tut ganz gewiss nichts Gutes für sie. Ihm würde es vermutlich nur recht sein, wenn dieser Schreinemaker gar nicht mehr zurückkehrt. Ich meine auch nicht nur die Sache mit der Werkstatt, Weiland. Jüngst hatt ich den Eindruck, dass es noch einen anderen … nun ja, delikateren Grund geben könnte, weshalb … Aber lassen wir das. Ich möchte Frau Marysa ungern in Verruf bringen.» Er kniff streng die Augen zusammen. «Du hast nichts gehört, Weiland, verstanden?»
Der junge Schreiber nickte.
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