Das silberne Zeichen (German Edition)
den Beweis zu erbringen, dass die Fälschung nicht hier stattgefunden hat, sondern auf anderem Wege.»
«Es gibt keinen anderen Weg», protestierte Volmer, aber van Eupen winkte ab.
«Belassen wir es dabei», entschied er. «Ohne Beweise können wir niemanden anklagen. «Ich schlage vor, wir kehren zur Acht zurück und warten dort den Bericht des Büttels ab. Das Schöffenkolleg hat schließlich noch anderes zu tun.» Er nickte van Oenne zu. «Ich erwarte, dass Ihr mir umgehend Bericht erstattet, sobald Ihr zu einer Erkenntnis gelangt seid. Frau Marysa.» Er warf ihr einen kurzen Blick zu, dann verließ er das Kontor. Die anderen Männer folgten ihm, verabschiedeten sich kurz. Augenblicke später war Marysa mit ihren Gesellen allein. Der Büttel hatte inzwischen die Wohnräume aufgesucht. Aus der Küche erklang Balbinas empörte Stimme, deshalb begab sich Marysa dorthin, um dem Mann vorsichtshalber auf die Finger zu schauen. Dabei überlegte sie fieberhaft, wie es zu der Vertauschung der Silberzeichen gekommen sein mochte. Sie war sich sicher, dass diese nicht in ihrem Haus stattgefunden haben konnte. Jedes der fünf Amulette hatte sie selbst überprüft, bevor Leynhard sie zum Marienstift gebracht hatte. Da die Reliquiare so wertvoll waren, hatte sie ihrem Gesellen sogar noch Milo zur Seite gestellt, obwohl die Straßen Aachens im Winter weniger gefährlich waren als sonst. Diebesgesindel, Bettler und andere zwielichtige Gestalten hatten sich in ihre warmen Verstecke zurückgezogen. Woher also kamen die gefälschten Abzeichen? Wollte man ihr damit schaden oder dem Marienstift? Wenn sich herumsprach, dass das Domkapitel mit Fälschungen handelte, würden die Aachener Bürger sicher mit Empörung reagieren und verlangen, dass die Verantwortlichen abgestraft wurden. Die Kanoniker unterstanden allerdings der Domimmunität, konnten also nicht so einfach von einem weltlichen Gericht angeklagt und verurteilt werden.
Nachdem der Büttel gegangen war, ohne einen Hinweis auf die gefälschten Silberstücke gefunden zu haben, setzte Marysa sich wieder in ihr Kontor und spann den gedanklichen Faden weiter: Falls jemand dem Marienstift schaden wollte, musste es sich um ein Mitglied desselben handeln, zumindest um einen Angehörigen der Domimmunität. Jemand Außenstehendes würde mit ein paar gefälschten Amuletten nichts bewirken können. Wollte jedoch ein Angehöriger des Marienstifts einen internen Aufruhr schüren oder sogar einen Prozess anstrengen, so könnte die Untersuchung in dieser Angelegenheit vielleicht der Auslöser sein. Rochus van Oenne war noch nicht lange im Amt. Er vertrat den Dechanten, der sich nur selten im Stift aufhielt, und kümmerte sich – wie zuvor Johann Scheiffart – auch um den Reliquienhandel des Domkapitels. Wollte ihn jemand in Verruf bringen und nahm dafür in Kauf, dass auch sie – Marysa – dabei zu Schaden kam? Oder war es ganz anders? War sie selbst das Opfer? Hatte jemand vor, den guten Leumund ihrer Werkstatt und ihres Reliquienhandels zu schädigen?
Marysa stützte nachdenklich den Kopf in ihre rechte Hand. Sie konnte sich nicht vorstellen, womit sie sich einen solchen Feind eingehandelt haben mochte. Zwar gab es in Aachen mehrere Männer, die sich dem Reliquienhandel verschrieben hatten, doch normalerweise kamen sie einander nicht in die Quere. Außerdem waren diese Männer Freunde ihres verstorbenen Vaters gewesen. Sie glaubte nicht, dass einer von ihnen einen Groll gegen sie hegte.
Und die Schreiner? In der Zunft herrschte natürlich ein Konkurrenzkampf. Allerdings gab es nicht allzu viele Kunstschreiner in der Zunft, die sich auf das Fertigen von Reliquiaren spezialisiert hatten. Hartwig war einer von ihnen. Wollte er ihr einen Dämpfer versetzen?
Marysa schüttelte den Kopf und stand auf. Das war absurd! Rasch holte sie ihren Mantel und rief nach Jaromir. Hartwig würde herumbrüllen und ihr drohen, aber diese Fälschungen passten ganz und gar nicht zu ihm. Es musste eine andere Erklärung dafür geben.
«Wir gehen zu meinen Eltern in die Kockerellstraße», sagte sie zu ihrem Knecht und war bereits zur Haustür hinaus, bevor er überhaupt seine Gugel überstreifen konnte.
***
«Versilbertes Messing, sagst du?» Besorgt wanderte Bardolf in seiner Goldschmiede auf und ab. «Und eingepasst in eure Amulette?»
Marysa nickte. «Graf Seibold war der erste Käufer, und ihm ist es auch gleich aufgefallen.»
«Dann muss es eine nachlässige Fälschung gewesen sein, sonst hätte
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