Das silberne Zeichen (German Edition)
könnt Ihr immer die Echtheit und Herkunft der Abzeichen erkennen.»
«Ein persönliches Erkennungszeichen auf einer Münze?», wunderte Marysa sich.
Rudolf lächelte. «Es handelt sich ja um ein Schmuckstück. Wir sind keine Münzschläger. Richtige Münzen tragen selbstverständlich das Zeichen des jeweiligen Münzschlägers, aber solche Abzeichen wie diese hier dürfen vom Schmied mit seiner eigenen Gravur versehen werden. Ich nehme an, dass Euer werter Vater, Meister Goldschläger, es mit den Schmuckstücken, die er fertigt, ähnlich hält.» Der Geselle ließ die Münze in den Beutel zurückfallen und gab ihn van Eupen. «Ich denke, Ihr konntet Euch hinreichend davon überzeugen, dass die gelieferten Abzeichen echt und von sehr guter Qualität sind.» Er wandte sich an Marysa. «Für Euch hoffe ich, dass sich alsbald aufklärt, wer Euch diesen ungeheuerlichen Streich gespielt hat. Glaubt mir – niemand, der Euch und Eure Werkstatt kennt, würde jemals glauben, dass Ihr einen solch lästerlichen Betrug begehen würdet.»
Marysa neigte leicht den Kopf. «Vielen Dank für deine freundlichen Worte, Rudolf. Ich denke, wir machen uns nun auf den Rückweg. Herr van Eupen möchte sicher zu seinen Geschäften zurückkehren, und auch auf mich wartet heute noch Arbeit.»
Sie verabschiedeten sich und gingen auf die Straße hinaus. Als sie schließlich den Marktplatz erreichten, kam ihnen an der Einmündung der Großkölnstraße eine aufgeregte Menschenmenge entgegen und hinderte sie am Weitergehen.
«Den Büttel, den Büttel!», hörten sie die Leute wiederholt rufen.
Eine Frau in einem pelzbesetzten Mantel eilte auf den Schöffen zu. «Herr van Eupen! Kommt schnell, Ihr müsst etwas tun. Schickt nach dem Büttel, es wurde ein toter Mann gefunden.»
«Ein Toter?» Van Eupen blickte die Frau erschrocken an. «Wo?»
Die Frau drehte sich um und wies vage die Großkölnstraße hinauf. «Irgendwo am Graben. Es ist furchtbar. Er soll erstochen worden sein. Tut etwas, ich bitte Euch, Ihr seid doch Schöffe.»
«Beruhigt Euch, gute Frau. Ich werde sogleich zur Acht gehen und jemanden ausschicken.» Van Eupen tätschelte den Arm der aufgelösten Frau. «Wisst Ihr, um wen es sich bei dem Toten handelt?»
Die Frau schüttelte den Kopf. «Ich muss weiter, meinem Mann davon erzählen. Es ist ungeheuerlich! Ein Toter auf der Straße, und das am helllichten Tag!» Und schon war sie weitergeeilt.
Mittlerweile liefen immer mehr Menschen zusammen und kesselten Marysa und van Eupen ein. Hilfesuchend blickte sich Marysa nach ihrem Knecht um, konnte ihn jedoch nirgends entdecken.
«Kommt, Frau Marysa, ich muss zur Acht.» Der Schöffe zog sie am Arm mit sich. Sie folgte ihm, musste mehrmals ihre Ellbogen einsetzen, um sich einen Weg zu bahnen. Stimmengewirr umgab sie, die Menschen waren erregt, und sogleich flogen Gerüchte von Mund zu Mund.
Beim Eingang des Gerichtsgebäudes angekommen, lichtete sich die Menge allmählich. Offenbar zog es die Menschen jetzt zur Fundstelle des Toten. Van Eupen wies Marysa an, auf ihn zu warten, und verschwand im Inneren der Acht. Kurze Zeit später öffnete sich die Tür wieder, und zwei Büttel rannten im Laufschritt hinter der in Richtung Großkölnstraße strebenden Menschenmenge her.
«Verzeiht, Frau Marysa.» Auch van Eupen trat nun wieder nach draußen. «Lasst mich Euch rasch nach Hause geleiten, dann muss ich selbst nach dem Rechten sehen. Leider haben wir heute nicht genügend Männer hier, um …»
«Herrin, hier seid Ihr!» Vollkommen außer Atem kam Jaromir auf Marysa zugerannt. «Ich dachte schon, ich hätte Euch verloren. Unglaublich, nicht wahr? Da wird dieser arme Mann einfach so erstochen!»
«Schon gut, Jaromir», mahnte Marysa. «Lasst uns jetzt nach Hause gehen. Herr van Eupen muss schließlich so rasch wie möglich zur Fundstelle des Toten.»
«So ist es», bestätigte der Schöffe grimmig. «Wir müssen alsbald herausfinden, um wen es sich handelt. Falls es ein Fremder ist …»
«Er ist kein Fremder», unterbrach Jaromir ihn. «Habt Ihr es noch nicht mitbekommen? Der Tote ist Willem van Hullsen.»
***
«Ein furchtbares Unglück», sagte Bardolf. Er und Jolánda saßen in Marysas Stube an dem großen Esstisch. Marysa hatte ihnen gegenüber Platz genommen und spielte gedankenverloren mit dem Zinnbecher, den Imela vor sie gestellt hatte. «Man hat ihm den Geldbeutel gestohlen», fuhr Bardolf mit unüberhörbarer Empörung fort. «Die Beutelschneider werden immer
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